Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
6. Oktober 2025

Tinder, Ghosting und Ikea-Regale – Eine Anleitung zum Unglücklichsein

Fotorealistisches, quadratisches Coverbild im Stil eines alten Fotos: Zwei junge Menschen beim vorsichtigen Anbandeln, leicht nostalgische Atmosphäre. Daneben in gesperrter Schrift der Titel „Tinder, Ghosting und Ikea-Regale“. Darunter, kleiner gesetzt, der Untertitel „Eine Anleitung zum Unglücklichsein“.

Opa brachte noch Rosen, heute bringt man nur noch einen Swipe.
Eine satirische Abrechnung mit Tinder, Ghosting & Ikea-Regal-Beziehungen und warum Liebe kein Update ist, sondern Arbeit (mit Humor!).

Großvater hat nie geswiped.
Der Mann ist einfach erschienen.
Mit Blumen.

Ohne Push-Benachrichtigung, ohne ChatGPT-Liebesbriefgenerator, ohne Matching-Algorithmus.
Und weil das meiner Großmutter imponierte, kann ich hier mit euch reden.
Wie ist das heute? Heute sitzt ihr da – glattgebügelt von Fotofiltern und ausgehöhlt vom Socialmediaselbstoptimierungsvergleichen – und trainiert nur noch euren Daumen. Der kennt inzwischen mehr Dating-Apps als Türklinken. Ihr wischt euch durch die Liebe wie durch die Restposten im Discounter – und wundert euch dann ernsthaft, dass niemand die Tür aufmacht?

In meiner Familie erzählte man sich oft die Geschichte meiner Großeltern. Opa hat tatsächlich noch geklingelt. An einer echten Tür! Ohne Captcha, ohne Zwei-Faktor-Identifikation, ohne „Bitte akzeptieren sie unsere Nutzungsbedingungen“.
Und er sprach diesen legendären Satz: „Guten Tag, ich wäre gern Dein glücklicher Zufall.“
Das würde heute mit 97prozentiger Wahrscheinlichkeit als Spam gelöscht werden – versehen mit dem Kommentar: „Als Verletzung der Community-Richtlinien gemeldet“.

Wir leben in der Appkalyptik. Unser Herz hat einen Dark Mode, unsere Zuneigung einen AGB-Button, und unser Vertrauen kommt nur mit Zwei-Faktor-Authentifizierung: PIN für Gefühle, TAN fürs Treffen, Sperrbildschirm fürs Commitment. Wer sich sicher fühlt, hat schlicht die neueste Enttäuschungssoftware noch nicht installiert.

So manches Frauchen nützt heute eine „Dating-App“ und filtert Männer wie Kaffeebohnen: nach Bindungsnote, Humor-Säuregrad und Traumata-Röstung.
„Der ist aber cool“, sagt Mara zu ihrer Freundin und zeigt einen Benutzer namens Lukas.
Immerhin schon ein 85%iges Match – also fast schon Seelenverwandtschaft mit Gütesiegel.
Doch Maras Freundin zischt: „Aber er hat ein Foto mit einer Pizza-Schachtel. Du bist doch allergisch auf Gluten, oder?“
Mara starrt auf den Bildschirm, als hätte Lukas sich plötzlich mit einem Nazi-Tattoo auf der Stirn und drei Ex-Frauen ablichten lassen. „Stimmt … das geht nicht.“ Swipe links.Nächster Kandidat.

Auch fast perfekt – bis sie entdecken, dass er sich in einer Bar fotografieren ließ. „Alkoholiker“, urteilt die Freundin streng. „Das endet immer in klebrigen Küssen und schlechten Cocktails.“
Wieder links.

Liebe läuft hier wie auf dem Fließband, man sollte eine Helmpflicht gegen die herabfallenden Erwartungen dafür einführen. Jeder Swipe ist wie eine TÜV-Prüfung: wegen Mängeln durchgefallen. Ein zu schiefes Lächeln, unglückliche Ellbogenlänge, verdächtige Vorlieben bei Topfpflanzen, falsche Musik, falsche Schuhe und – oh – natürlich dem schlimmsten Makel von allen: das falsche Sternzeichen. „Fisch und Wassermann? Bitte. Das geht ja gar nicht“.

Und dann denke ich wieder an meinen Großvater. Der musste noch fünf Kilometer zu Fuß laufen, um überhaupt vor Omas Haustür zu stehen – bergauf natürlich, ohne Navi und ohne McDonalds-Zwischenstopp.
Bevor er mit seiner Angebeteten reden durfte, stellte er sich artig beim Hausherrn vor und bat um die offizielle Erlaubnis, das Mädchen, dessen Herz er erobern wollte, überhaupt sprechen zu dürfen. Ein Vorgang, der heute wahrscheinlich als „unziemliche Kontaktaufnahme“ strafbar wäre.

Opa kannte keine Apps, nur Schweiß. Eine Krawatte, die vom langen Marsch etwas schief geraten war, ein Blumenstrauß aus dem Dorfladen; der roch vermutlich nach Kartoffelsalat, weil er gleich neben der Kühltheke lag. Und natürlich die wichtigste romantische Grundausstattung der Vor-Digitalität: Mut. Es gab keine Alternative; wenn du den Mut nicht hattest, jemanden anzusprechen, fandest du auch niemanden zu lieben.
Erst als der Hausherr-Vater ihn gemustert, gewogen und nicht für völlig ungeeignet befunden hatte, durfte Oma überhaupt die Tür betreten, um den Blumenstrauß entgegenzunehmen. Kein Emoji per Whatsapp, nur echte Persönlichkeit.
Und nein, das war damals nicht Hardcore-Romantik, das war Mindestanforderung.

Heute jedoch gilt Spontanität und Verlässlichkeit als To-do-Punkt, am besten schon vorgeplant und mit Kalendereintrag bestätigt. Authentisch sein heißt heute: vorher die passenden Hashtags auswählen.
Und wer auf zwei Bildern dasselbe Shirt trägt, scheidet sowieso aus, wer will schon einen modischen Totalversager.
Man könnte meinen, wir daten Menschen; tatsächlich klicken wir uns durch eine Rabattaktion ohne Ablaufdatum. Immer neue Gesichter, immer neue Versprechen. Wie ein endloser Wühltisch voller Sonderangebote, bei dem man am Ende mit leeren Händen dasteht.

Unendlichkeit ist das neue Hässliche.
Denn zu viele Möglichkeiten machen nicht frei, sie machen blind. Es ist wie beim All-you-can-eat-Buffet: Nach dem zwanzigsten Teller bleibt nur Sodbrennen. Wir nennen es „Optionen“ – in Wahrheit ist es die Verwahrlosung der Wahl.

Jede Möglichkeit frisst ein Stück Gegenwart, so wie eine Tüte Chips, die immer kleiner wird, je tiefer man greift.
Und während ihr euch die Gegenwart so wegknabbert, trainiert ihr nebenbei nur noch einen Muskel: den Daumen. Der ist inzwischen stärker als euer Vertrauen. Aber was nützt euch der schönste Daumen-Bizeps, wenn eure Geduld gleichzeitig schlaffer geworden ist als der Akku eines alten Handys?
Und hier schließt sich der Kreis: Man lernt jemanden kennen, trifft sich sein 458. Match – alles glattpoliert, fein, fast wie frisch aus dem Katalog. Die ersten Tage glänzen wie Neuwagenlack und passen wunderbar zum Profil.
Doch sobald die Oberfläche nicht mehr glänzt, sobald das Leben seine erste Delle zeigt, kommt der Swipe.

Oder er swipet eure Begegnung weg, weil sein Handy vibriert: „Jemand in deiner Nähe mag Dich“. Der digitale Sensenmann, zuständig fürs sofortige Beenden jeder Annäherung, klopft dir hässlich grinsend schon wieder auf die Schulter.
Kein Geräusch, kein Smilie, kein „Match verloren“ einfach Stille – jene Sorte Stille, die lauter ist als jedes Klingeln. In diesem Moment merkst du: Du warst nie mehr als ein Profilfoto mit Verfallsdatum.

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Denn genau da liegt das Problem: Für euch ist die Liebe austauschbar geworden. Wegschnippen, abhaken, weiterswipen. In der Hoffnung auf diese mythische Perfektion, die es gar nicht gibt. Die Wahrheit ist: Perfekt wird nichts gefunden, perfekt wird nur erarbeitet. Doch statt Kratzer auszupolieren, statt sich mit den Ecken und Kanten eines Menschen zu arrangieren, sucht ihr nach dem glatten Avatar, der nie existieren wird – auf zur nächsten Probefahrt, bis auch dort die erste Macke kommt und ihr den Wagen wieder kommentarlos auf den Schrottplatz stellt. Gibt ja genug Angebot bei Tinder und Co.

Großvater hätte spätestens an dieser Stelle wohl nur gesagt: „Kind, leg das Ding weg, sonst findet dich das Leben nicht.“
Und er hätte recht: Das Leben hat nun mal keine Swipe-Funktion, nur Türklinken.
Wer ständig auf das Display starrt, verpasst die Tür, die sich vielleicht gerade öffnet und steht dann mit vollem Akku, aber leerem Herzen da.

Denn Beziehung bedeutet nicht, dass alles sofort passt, wie bei einem Ikea-Regal, das angeblich mit drei Handgriffen aufgebaut ist. Beziehung heißt: man muss schrauben, man muss fluchen, und manchmal fehlt ein Werkzeug und trotzdem bleibt das Ding stehen. Manchmal wackelig am Anfang, aber immer gemeinsam.

Opa hätte seine Rosen verteidigt, weil Rosen für ihn Punkrock mit Stacheln waren. Oma wiederum hätte Tulpen gekauft – leiser, freundlicher, ohne große Posen. Und irgendwo zwischen Dornen und Blumenzwiebeln lag dann der Kompromiss: mal das Eine, mal das Andere, manchmal auch einfach ein Strauß vom Straßenrand.
Das nannte man damals Beziehung: ein beständiges gegenseitiges Überschreiben und Zusammenfinden.

Damals hieß es: bleiben, auch wenn es piekst. Rosen oder Tulpen, man arrangierte sich. Heute dagegen heißt Beziehung oft: gehen, sobald es piekst.
Ihr verschwindet, elegant wie ein Software-Update um 3:17 Uhr. Der Rest ist Müdigkeit im Kostüm der Freiheit. Ihr swipet, bis ihr euch selbst verpasst.
Großvater hätte dazu nur genickt. Enttäuscht.

Nicht, weil er Technik hasste, sondern weil er eure Feigheit durchschaut hätte.
Seine Philosophie war simpel: Erscheine. Mit Blumen. Bleibe.
Und wenn es wirklich schiefgeht? Nun, dann war man wenigstens da, man hat es ehrlich versucht. Ihr versteckt euch hinter dem Schweigen eines Profilbildes.

Ich habe übrigens auch mal eine Datingplattform benutzt. Beziehungen funktionieren dort wie Software: erst die Alpha-Phase – das sind die ersten Testläufe, viel Euphorie, manche Emoji. Danach die Beta-Phase – halbwegs stabil, oft noch voller Überraschungen. Und genau da bin ich steckengeblieben.

Dort hätte ich beinahe eine Beziehung in die Beta-Phase gepusht. Wir testeten uns, indem wir einander schrieben und die ersten Runden liefen erstaunlich stabil. Keine größeren Abstürze, keine Panikmeldungen. Bis sie den fatalen Satz sagte: „Semikolon? Ist das nicht so ein Punkt mit Komma?“

In diesem Moment fühlte es sich an, als hätte jemand bei mir den Not-Aus gedrückt. Ich hätte großzügig sein können, es als kleinen Tippfehler des Lebens verbuchen, aber für jemanden wie mich, der mit Worten arbeitet, ist das kein Tippfehler, sondern ein Totalschaden. Also meldete ich den Vorfall als kritischen Fehler. Ticket offen, Beziehung geschlossen.
Denn mal ehrlich: Wenn sie schon beim Semikolon scheitert, wie sollen wir dann jemals Gespräche führen, die mehr Substanz haben als die Bedienungsanleitung für einen Wasserkocher?

Nein, Spass beiseite, ehrlich, ich habe wirklich eine Datingplattform benutzt.

Eigentlich wollte ich nur Stoff für eine Satire über den angewandten Feminismus sammeln.
Eine Feldstudie sozusagen.
Die Satire habe ich auch geschrieben, aber nie veröffentlicht. Ich wollte sehen, wie man einem angeblich noch passablen Mittfünfziger dort so begegnet. Und Oh,Boy, was tat sich da für ein Kaninchenloch auf – tief, dunkel, voller bunter Avatare und teilweise peinlichen Avancen. Ich habe mich köstlich über so manche sexuelle Schrapnelle amüsiert.

Aber eine Zuschrift nahm mich dann doch gefangen. Sie schrieb, sie hätte sich meine erste Folge des alten Schalltrichters wirklich angehört und herzlich dabei lachen müssen. Das war 2021. Wir begannen zu schreiben, wechselten dann auf E-Mail, weil keiner von uns den Pro-Account für mehr Nachrichten auf der Plattform bezahlen wollte.
Dann kam WhatsApp. Und irgendwann, aufgeregt, mit zittrigen Händen, fast wie bei Großpapa: unser erstes Treffen.

Und was soll ich sagen: Ich lebe heute mit dieser Frau und ihren Zwillingen zusammen. Nein, leicht war das nicht, ist es manchmal immer noch nicht, das gilt für alle Beteiligten.
Unser Ikea-Regal ist ein paarmal zusammengebrochen, einmal so heftig, dass sogar die Bedienungsanleitung Schnappatmung bekam. Viele Wünsche waren unerfüllbar und sind es noch. Aber wir fanden immer irgendein Werkzeug, um das Regal neu zu bauen. Manchmal einen Schraubenzieher, manchmal bloß Humor, und vor allem: den Willen dazu.

Und beide können wir sagen: ohne den anderen hätten wir vieles nicht geschafft. Ich würde wahrscheinlich nicht mehr podcasten und hätte mir kein Studio eingerichtet.
Auch wenn ich liebe, was ich tue, es braucht immer jemanden, der dich stützt und dir zwischendurch den Mut gibt, weiterzumachen.

Oh ja, es war teilweise wirklich Arbeit mit uns Vieren, aber so ist das eben.
Und am Ende geht’s mir wie meinem Großvater: Ohne Sie gäb’s mich nicht. Zumindest nicht, wie ich heute bin.
Nur dass ich öfter mal Blumen – ohne den Kartoffelsalatgeruch – bringen sollte, ich bin nicht gerade der große Romantiker.

Und deshalb: Liebe ist kein Swipe, kein Update und kein Algorithmus. Liebe ist ein schiefer Krawattenknoten, ein Blumenstrauß vom Dorfladen und ein Regal, das wackelt.
Alles andere ist Biomüll mit Filter.

Und wenn ihr das nicht glaubt, fragt meinen Opa.
Der hatte keine App. Der hatte den Schweiß seines Tuns. Und eine Frau, die ihn aushielt.
Letztlich seid ihr nur deshalb auf dieser Welt, weil eure Großeltern das auch genauso gemacht haben.
Aber klar: Macht ihr nur weiter. Wischt euch durch Avatare, bis ihr eines Tages alt seid, allein im Ikea-Ausstellungsraum sitzt und merkt: Ihr habt alles probiert.
Nur erscheinen und einfach mal anklingeln nicht.

Und wisst ihr, was das Schlimmste ist?
Eure Enkel werden später nicht einmal mehr diese Geschichte erzählen können. Weil man nur dann, wenn man bleibt, Enkelkinder haben kann.

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