Smalltalk – Ein Leitfaden zum kommunikativen Scheitern

Smalltalk: die verbale Luftpolsterfolie des sozialen Miteinanders. Während die einen darin eine entspannte Kommunikationsdisziplin sehen, gleicht es für andere einem Spießrutenlauf der Belanglosigkeit. In dieser Episode seziert Thomas Speck messerscharf die Kunst des gepflegten Nichts-Sagens und zeigt, warum Wettergespräche, Prosecco-Smalltalk und Fragen wie „Was machst du so?“ oft den intellektuellen Tiefpunkt jeder Party markieren.
Smalltalk ist die wahre Königsdisziplin der Kommunikation unserer Gesellschaft. Eine Kunstform, bei der es nicht darum geht, etwas zu sagen, sondern zu vermeiden, irgendetwas Substanzielles von sich preiszugeben. Wer es wirklich beherrscht, ist kein kommunikativer Mensch, sondern ein Meister der mündlichen Tarnkappentechnologie.
Es beginnt schon auf dem Weg zur Party, wenn man mit einem mulmigen Gefühl vor der Haustür des Gastgebers steht. Die Klinke in der Hand, das Herz rast, und der Kopf rotiert wie ein alter CD-Player auf der Suche nach einer brauchbaren Anekdote. „Was sage ich, wenn mich jemand fragt, wie es mir geht?“ Der Klassiker „Gut, und dir?“ ist nicht nur ausgelutscht, sondern riskiert eine Gegenfrage – der Horror für alle, die lieber im Stillen vor sich hin vegetieren.
Drinnen wird’s nicht besser. Mit einem Glas Prosecco bewaffnet – der ultimative Gesellschaftsschild – spürt man die erste Welle der Müdigkeit. Ist es der Alkohol? Die stickige Luft? Nein, es ist die lähmende Erkenntnis, dass das, was gleich kommt, die Definition einer Stresssituation ist: Die Suche nach einem Thema, das belanglos genug ist, um niemanden zu verschrecken, aber spannend genug, um nicht sofort ignoriert zu werden.
Die Profis unter den Smalltalk-Künstlern haben eine Liste von Notfallthemen in petto. Das Wetter ist der Klassiker – ein schamloser Evergreen, der in seiner Belanglosigkeit glänzt. „Ganz schön warm heute, oder?“ funktioniert bei 35 Grad genauso wie: „Ganz schön kalt heute“ bei minus 5. Doch Vorsicht: Sobald der andere mit einem echten Interesse an Meteorologie kontert, ist man verloren. Da steht man dann, mit der Stirn in Falten gelegt, und nickt zustimmend, während einem Begriffe wie „Okklusion“ oder „Jetstream“ um die Ohren fliegen.
Andere wagen sich an mutigere Themen wie Urlaub oder Filme. Aber auch hier lauert die Gefahr. Urlaub? „Oh, du warst in Bali? Ich hab gehört, es ist dort gerade etwas… überlaufen.“ Zack, schon ist man im Territorium der passiv-aggressiven Reiseneid-Debatte gelandet. Filme sind da noch schlimmer. Kaum hat man „Ich fand den neuen Tarantino nicht schlecht“ gesagt, steht der selbsternannte Cineast vor einem und erklärt in epischer Länge, warum dieser Film die Dekadenz des modernen Kinos symbolisiert.
Die wahre Hölle des Smalltalks ist jedoch der Moment, in dem sich eine Pause einschleicht. Beide starren ins Leere, und das Schweigen dehnt sich wie ein Kaugummi in Zeitlupe. Peinlich.
Einer von beiden wird nervös und murmelt etwas wie: „Hast du eigentlich schon den neuen Kaffeeautomaten bei der Arbeit ausprobiert?“ Und damit, liebe Freunde, hat man offiziell den Tiefpunkt der Konversation erreicht.
Smalltalk und ich, wir haben eine lange, komplizierte Geschichte. Es ist ein bisschen wie der Versuch, eine Katze an der Leine auszuführen – beide Seiten wissen, dass es nicht funktionieren wird, aber man tut es trotzdem, um höflich zu sein. Mein ADHS-Gehirn, treuer Begleiter und chronischer Saboteur, macht das Ganze natürlich nicht einfacher. Es beginnt schon mit dem Social Scripting. Da stehe ich also zuhause vor dem Spiegel und übe meine Antwort auf die Frage aller Fragen: „Und, was machst du so?“ „Ich schreibe Texte.“ Zu schlicht. „Ich bin im kreativen Bereich tätig.“ Zu prätentiös. Nach zehn Minuten intensiver Proben lande ich bei: „Ich arbeite mit Worten, kreativ, weißt du?“ Perfekt. Locker, sympathisch.
Doch dann kommt die Realität. Auf der Party stellt jemand genau diese Frage, und mein Gehirn – im Training ein Ferrari, in der Praxis ein klappriger Einkaufswagen – hat plötzlich Totalausfall. Mein Mund setzt an, aber statt der geübten Antwort kommt ein gestammeltes „Ich… ähm… mache Sachen.“ Das „kreativ“ spare ich mir im letzten Moment doch, aus Angst, wie ein selbstverliebter Möchtegern zu klingen. Während mein Gegenüber höflich lächelt, und ich mich besorgt frage, wie sehr ich mich grade blamiert habe, beginnt in meinem Kopf eine Talkshow der chaotischen Extraklasse.
Da sitzt dann in meinem Oberstübchen eine bunte Runde an Gedanken zusammen: Der eine geifert mich, an, wie unfähig ich gerade bin, der Andere feuert mich an: „Mach schon, leg los!“ und darunter mischt sich ein überengagierter Gedankenblitz über schwarze Löcher, während ein weiterer verzweifelt die Evolution von Staubsaugern analysiert. Ganz hinten murmelt ein dünnes Stimmchen etwas über die Farbe von Kaffeefiltern.
Meine bunte Gedankenwelt macht Smalltalk nicht nur schwierig, es macht ihn zu einem Abenteuer im unkartierten Gelände. Während andere Menschen mit scheinbarer Leichtigkeit den Weg von „Hallo“ zu „Was machst du so?“ navigieren, ist mein Kopf wie ein chaotisches Labyrinth ohne Ausgang. Gedanken prallen wie Flipperkugeln gegeneinander. Jede Frage löst eine Explosion an Assoziationen aus. Eine beiläufige Bemerkung über das Wetter wird zu einem inneren Monolog über Klimawandel, gefolgt von einem Abstecher in die Welt der Meteorologie. Eine höfliche Nachfrage nach meinem Beruf? Sofort starte ich eine imaginäre PowerPoint-Präsentation über meine bisherigen Erfolge – nur um sie nach drei Sekunden komplett zu vergessen, weil ich plötzlich daran denken muss, ob Delfine im Schlaf träumen können.
Es ist diese Unberechenbarkeit, die Smalltalk für mich zu einer Herausforderung macht. Mein Kopf produziert ununterbrochen Ideen, Fakten und Fragen, aber selten ist eine davon das, was die Situation gerade verlangt.
Und ehe ich mich versehe und der ganze Kuddelmuddel in einer bunten Glitzerwolke zerplatzt, höre ich mich selbst laut sagen: „Warum gibt’s eigentlich keine blauen Kaffeefilter? Die wären doch viel schöner!“ Der Blick meines Gegenübers beschreibt das kochendheiße Gefühl, das sich über meinen Bauch ins Gesicht ausbreitet. Endgültig eine Mischung aus Verwirrung und der unausgesprochenen Hoffnung, dass sich bald jemand findet, der mich abholt.
Aber mein verknoteter Denkapparat ist da lange noch nicht fertig. Es schaltet sofort in den nächsten Gang, springt von Thema zu Thema, während ich äußerlich angestrengt nicke, als hätte ich alles unter Kontrolle. Natürlich merkt mein Gesprächspartner nichts von dem inneren Zirkus.
Er sieht nur, wie ich peinlich lächle, während ich mich heimlich hinter meinem Glas Prosecco verstecke – das universelle Symbol für „Bitte sprich mich nicht weiter an.“ Und falls das nicht reicht, greife ich zum absoluten Trick: Tarnung.
Ich manövriere mich zielsicher in den hintersten Winkel des Raumes, direkt hinter die größte Topfpflanze, die ich finden kann. Mit einem Brötchen in der einen Hand und dem Notizbuch in der anderen hoffe ich inständig, dass ich eins werde mit meiner Umgebung. Chamäleon-Style. Die perfekte Illusion des Desinteresses. Mein Plan: nichts tun, nicht reden, nicht auffallen. Wenn ich mich nur klein genug mache, werde ich vielleicht unsichtbar. Nur funktioniert es halt nie.
Irgendwann endet das Desaster dann doch. Meistens, weil der andere aufgibt, oder weil jemand zufällig den Raum betritt, der deutlich weniger wie ein Chamäleon wirkt. Ich atme erleichtert auf und frage mich: Warum um alles in der Welt tue ich mir das immer wieder an?
Der Retter meines inneren Monologs, der eben den Raum betrat – nun, er – oder sie, es spielt keine Rolle, es könnte auch ein wandelnder Cocktailshaker sein, dem Beispiel wegen bleibe ich mal bei er – zieht sofort alle Aufmerksamkeit auf sich. Mit einem Lächeln, das so strahlend ist, dass selbst meine Topfpflanze kurz aufhört, Photosynthese zu betreiben. Alle Köpfe drehen sich, während er mit bewundernswerter Leichtigkeit die erste Frage in die Runde wirft: „Na, wer hat schon Pläne fürs Wochenende?“ Und das Publikum – ja, ich meine die Gäste, die jetzt kollektiv an seinen Lippen hängen – reagiert begeistert. Es ist fast schon magisch.
Ich stehe da, halb verborgen hinter meinem Brötchen, und bewundere ihn insgeheim. Wie macht er das? Wie kann jemand mit einem derart banalen Thema – Pläne fürs Wochenende! – die Menge zum Lachen bringen, als hätte er gerade den neuesten Stand-Up-Sketch von sich gegeben? Jede Antwort, so trivial sie auch ist, wird von ihm aufgenommen, verarbeitet und in glänzendes, unverbindliches Gold verwandelt. Es ist, als wäre Smalltalk seine Superkraft, und ich frage mich, ob er einen Zaubertrank trinkt oder heimlich einen Gesprächscoach engagiert hat.
Doch dann kommt der zweite Gedanke, der kritische, der leise zynische: Merkt denn wirklich niemand, wie leer das alles ist? Smalltalk ist die Kunst, etwas in Worte zu fassen, was auch ohne Worte nichts bedeuten würde. Es ist das verbale Äquivalent zu Luftpolsterfolie – man drückt drauf, es macht kurz „Pffft“, und danach ist alles wie vorher. Er spricht über das Wetter, die besten Grillsoßen und – mein Favorit – wie oft man eigentlich den Rasen mähen sollte. Niemand hört ihm wirklich zu, alle nicken nur eifrig und lachen an den richtigen Stellen. Und doch ist er der Star der Show, der unangefochtene Meister im Turnier der Nichtigkeit. Vielleicht genießt er die Banalität, weil sie keine echten Risiken birgt – niemand wird verletzt, niemand wird wirklich gesehen.
Während ich ihn beneide, schwingt auch ein Hauch von Resignation mit. Vielleicht, denke ich, liegt die wahre Kunst des Smalltalks darin, dass er genau das sein will: ein flüchtiger Moment ohne Bedeutung, ein kleiner Luftballon aus Wörtern, der in den Raum geworfen wird, nur um irgendwann leise zu platzen. Und vielleicht ist das ja auch okay – für ihn. Für mich bleibt es ein Rätsel.
Am Ende des Abends, erschöpft und innerlich ausgelaugt, macht man sich auf den Heimweg. War es ein Erfolg? Hat man überlebt? Ja. Aber die Frage bleibt: Warum machen wir das eigentlich? Warum investieren wir so viel Energie in Gespräche, die uns nichts bringen, außer der Erleichterung, wenn sie endlich vorbei sind?
Vielleicht, weil wir alle heimlich hoffen, dass hinter dem Smalltalk irgendwann der große Talk wartet – das echte Gespräch, das uns für einen kurzen Moment das Gefühl gibt, gesehen und verstanden zu werden. Aber bis dahin? Nun, wir haben immer noch das Wetter.
Am Ende des Tages ist es vollkommen okay, Smalltalk zu hassen. Nicht jeder muss ein Meister darin sein, wie beiläufig über den besten Weg, Avocados reifen zu lassen, zu plaudern, während man charmant an seinem Drink nippt. Manche von uns – und ich erhebe hier stolz die Hand – fühlen sich einfach wohler bei Gesprächen, die ein bisschen mehr… Substanz haben.
Vielleicht treffen wir uns bei der nächsten Party ja in der Küche. Da, wo die echten Gespräche stattfinden. Wo man ungestört über die faszinierenden Schlafgewohnheiten von Delfinen, die Absurditäten des Alltags und die Frage, ob die Farbe von Kaffeefiltern tatsächlich das Universum beeinflusst, reden kann. Die Küche ist ein sicherer Ort, fernab von Wetter-Updates und Wochenendplänen. Hier darf man sich verlieren, abschweifen, albern sein – ohne Angst vor dem nächsten peinlichen „Und was machst du so?“.
Und wenn nicht? Na, dann bleibe ich eben hinter der Topfpflanze – vielleicht werde ich irgendwann einfach Teil der Deko. Immerhin: Mit Pflanzen muss man nicht reden. Sie verstehen einen auch so. Schließlich gibt es genug andere Leute da draußen, die die „Kunst“ des Smalltalks mit Leichtigkeit beherrschen – und uns so den Raum geben, unseren eigenen Weg durch die Konversation zu finden. Auf unsere Art, ganz ohne Blendgranaten und Zahnpastagrinsen.
Wenn ihr mich sucht, schaut beim Grünzeug oder in der Küche nach.