Oh, welch Ironie – ich und meine Satire

In dieser Episode wird’s Meta: Satire über die Satire – ein Ritt durch Ironie, Zynismus und den verzweifelten Versuch, mit Pointen die Welt zu retten. Oder wenigstens das eigene Hirn. Unser Gastgeber seziert die Eigenarten der Satire, reflektiert über ihre Grenzen und fragt sich – wie versatiriert man eigentlich Satire?
12 Monate.
Gestern, am Donnerstag, dem 22. Mai 2025, ist es genau ein Jahr her, dass ich den Schalltrichter neu aufgelegt habe. 69 Folgen in einem Jahr – das sind mehr als fünf pro Monat. Ich bin nicht der Typ für Schulterklopfen, aber ein bisschen stolz bin ich schon.
Es war ein wilder Ritt durch Ironie, Unsinn, philosophischem Tiefgang und Alltagsgroteske – und hier hat der Schalltrichter seinen Platz gefunden. Und ich mit ihm.
Nur: Gefunden hätte ich diesen Platz nicht allein.
Denn ich spreche hier zwar oft in ein Mikrofon, aber nie ins Leere. Ohne euch – ohne Hörer, Rückmeldungen, Widerspruch, Zustimmung, Nachdenklichkeit – wäre dieser Trichter bloß ein Echo meiner eigenen Gedanken und längst verstummt.
Danke euch.
Und ich meine das nicht als Floskel. Ich meine das so, wie man es selten meint: persönlich.
Danke euch!
Letzte Woche traf ich eine von euch – Frau Susanne, in Wien. Eine ehemalige Lehrerin, mit wachem Blick und ruhiger Stimme. Wir saßen in einem Café, erzählten, lachten, schweiften ab – und ich merkte: Hier spricht jemand, der nicht nur hört, sondern hinhört.
Sie erzählte mir aus ihrem Leben, mit dieser Gelassenheit, die nur Menschen haben, die wissen, wie verrückt die Welt ist – und trotzdem freundlich geblieben sind.
Und als wir später gemeinsam Richtung Straßenbahn gingen, zeigte sie mir Dinge, die ich sonst nie beachtet hätte:
Kleinigkeiten. Ein Lichtspiel auf einem Museumsgiebel. Ein Stück Stadtgeschichte in einem Treppengeländer. Das Geräusch der Mariahilfer Straße, das plötzlich nicht mehr hektisch abweisend klang. Und mit einem mal gefällt mir die alte, ehemals ganz große Einkaufsmeile doch.
Ich, der Weltbeobachter mit Zynismus-Monokel, der alles kommentieren muss, hatte plötzlich nichts zu sagen – weil ich staunte.
Und da wurde mir klar:
Auch ein Satiriker darf manchmal still werden.
Nicht jede Pointe braucht ein Ausrufezeichen.
Und vielleicht – ja – liegt genau darin der nächste Entwicklungsschritt.
Deshalb diese Folge – die wirklich lange geworden ist.
Zum Geburtstag meines Podcasts schenke ich mir selbst einen Blick zurück – und euch einen nach vorn.
Und liebe Susanne – danke dir. Für die Erinnerung daran, dass man auch als Zyniker gelegentlich die Augen neu öffnen kann.
Oh, welch Ironie – ich und meine Satire.
Heute möchte ich also über ein Thema sprechen, das mir am Herzen liegt – und zwar auf eine Weise, die mich selbst ein bisschen nervt. Ich hatte nämlich vor langem schon die glorreiche Idee, eine Satire über die Satire zu schreiben. Ich dachte, es sei richtig Meta-satirisch, also etwas, das auf einer höheren Ebene über sich selbst reflektiert.
Frei nach dem Motto: „Lass uns einen humoristischen Kreuzzug starten, bei dem wir die Eigenheiten der Satire und ihrer Schöpfer bloßstellen“.
Satire über Satire – das ist wie ein Spiegelsaal, in dem jeder Gedanke sich selbst zitiert. Oder wie ein Poetry Slam, bei dem der Text sich selbst bewertet. Ich dachte mir: Warum nicht? Schließlich sind Sarkasmus, Ironie und gelegentlicher Zynismus ohnehin meine bevorzugten Werkzeuge, um der Realität die Maske vom Gesicht zu reißen. Warum also nicht mal gegen die eigenen Waffen richten?
Doch das Problem ist: Wie versatiriert man Satire? Wo hört die Parodie auf und wo fängt das literarische Augenzwinkern an, das schon so lange in seinem eigenen Spiegelbild grinst?
Ich liebe solche Textideen. Diese Art seltsamer, sperriger Gedankenspiele, bei denen ich einfach losschreibe. Meistens bleiben sie dann irgendwo auf der Festplatte liegen, halbgar, unausgereift, wie ein Witz ohne Pointe. Aber manchmal – ganz selten – holen sie mich wieder ein. Und dann, mit etwas Abstand, packe ich sie aus, wie einen vergessenen Joghurt im Kühlschrank: skeptisch, aber neugierig.
Manche schaffen es dann auf meinen Blog. Andere, wenn sie das Glück und ich den Mut habe, in eine Episode meines Podcasts. So auch heute.
Wie beschreibt man Satire?
Satire ist dieser eine Freund – penetrant, ungebeten, aber erschreckend ehrlich. Der Typ, der bei der Party nicht eingeladen war, trotzdem auftaucht, das Buffet beleidigt, die Gäste durch den Kakao zieht – und am Ende trotzdem recht hat.
Satire darf das. Sie soll das. Aber vor allem: Sie kann alles das sagen, was der gesunde Menschenverstand sich nicht zu sagen traut.
Sie ist die unverschämte Cousine der Wahrheit, die mit rauchiger Stimme lacht, während sie ihre Fingernägel an den Prinzipien der Anständigkeit feilt. Sie zielt auch mal unter die Gürtellinie, nicht weil sie will, sondern weil sie muss.
Satire darf verletzen. Ja, das darf sie. Sie darf provozieren, sie darf die blutenden Wunden der Gesellschaft nicht nur sichtbar machen – sie darf auch Salz hineinstreuen. Mit Anlauf.
Denn Satire ist keine zarte, tröstende Hand. Sie ist ein verbaler Faustschlag in die Weichteile der Ignoranz.
Und das ist gut so.
Was viele nicht wissen – oder lieber vergessen: Satire ist im Grunde gar nicht lustig. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Sie ist kein Witz, sie ist ein Zerrspiegel. Wer lacht, lacht oft aus Verlegenheit, weil das eigene Spiegelbild plötzlich die Züge eines kleinen Tyrannen trägt.
Man denke an Gullivers Reisen. Nicht als Märchen. Sondern als messerscharfe Diagnose einer kranken Gesellschaft – getarnt als Abenteuer, mit dem der gute Jonathan Twist der damaligen Gesellschaft ordentlich den Spiegel vor die Nase hält. Mark Twain sollte man nicht als Geschichtenschreiber verwechseln. Was er schrieb sind ebenso Satiren auf seine Zeit. Mit seinen Werken, die oft die Hypokrisie und den Naivismus von Menschen und Institutionen beschreibt, ist er wohl einer der besten Satiriker, die ich kenne. Auch Loriot ist kein Komiker, er schrieb Satire in seiner typischen Art. Die besten Satiren sind Wölfe im Schafspelz, sie tragen ein Lächeln im Gesicht und einen scharfen Dolch im Ärmel.
Und ja, die Frage kommt immer wieder: Wie weit darf Satire gehen?
Meine Antwort: So weit, wie es nötig ist, um die Masken der Heuchelei herunterzureißen. So weit, bis jemand aufschreit. Denn wenn es wehtut, ist es vielleicht genau richtig.
Satire ist die letzte Bastion schonungsloser Ehrlichkeit in einer Welt, die sich im Wattebausch der politischen Korrektheit häuslich eingerichtet hat.
Und mal ehrlich: Wer sich von ihr angegriffen fühlt, sollte sich vielleicht fragen, warum es schmerzt. Denn Satire zielt nicht auf Unschuldige – sie trifft, wen sie treffen muss. Wer sich also betroffen fühlt, ist auch Betroffen.
Ich weiß, das klingt hart.
Doch manchmal muss man hart klingen, damit überhaupt noch jemand hinhört – in einem Chor, in dem alle flüstern, nur um nicht anzuecken.
Manchmal frage ich mich, ob dieser ganze Spott, diese überhöhte Wahrheit, diese Spitzen mit System – ob das wirklich Veränderung bringt.
Ich sitze dann da, im Halbdunkel meines kleinen Studios, starre auf das Mikrofon, das schon zu oft mein Beichtstuhl war – und flüstere:
„Ich will was verändern.“
Es folgt ein Moment der Stille.
Dann, fast liebevoll, zischt es zurück – leise, aber unüberhörbar:
„Ach, Süßer“, säuselte die Satire, „du willst nur Applaus.“
Und vielleicht hat sie recht.
Satiriker sind seltsame Wesen.
Wir glauben ernsthaft, dass man durch geschickt platziertes Wortspiel und überzeichnete Wirklichkeitsabbildung die Welt ein bisschen besser machen kann.
Als ob je jemand nach einem scharfzüngigen Kommentar aufgewacht wäre und gesagt hätte: „Stimmt, jetzt wo du’s sagst, bin ich kein Rassist mehr.“
Und trotzdem versuchen wir’s.
Wir werfen mit Pointen wie andere mit Konfetti – in der Hoffnung, dass etwas davon am Gehirn kleben bleibt. Unsere Texte sind wie Werbung für Moral mit subversivem Humorbudget.
Wir hoffen, dass unsere Worte sich in den Köpfen festsetzen wie dieser eine Jingle aus der Waschmittelwerbung, der dir auch noch einfällt, wenn du eigentlich nur sterben willst.
Denn irgendwo tief in uns glauben wir: Nur so lässt sich das Bewusstsein schärfen. Nur so lässt sich der Schlaf der Vernunft wenigstens kurz unterbrechen.
Natürlich gibt es diese Momente, in denen wir uns selbst für unsere Brillanz feiern. Wenn wir auf den Text schauen, den wir gerade geschrieben haben, und denken: „Das wird die Massen erleuchten! Oder sie zumindest gut unterhalten, während sie kackend auf der Toilette sitzen.“
Wir sehen uns dann im Geiste schon als Gewinner des großen Preis der sinnvoll angewandten Bosheit, irgendwo zwischen Oscar Wilde und einem besonders sarkastischen Papagei.
Ist es der eigene Frust auf eine Welt, die nicht immer gut zu uns war, der uns antreibt? Die eigenen Traumata, eine gewisse Misantropie? Wahrscheinlich alles zusammen. Wir sind wie die nächtlichen Grübler, die in den Abgründen ihrer eigenen Gedanken nach Perlen des Spottes tauchen. Die Satire ist unser Ventil, unser Mittel, um die Dämonen unseres Geistes in Schach zu halten. Bisweilen unsere Waffe, um es der Menschheit ganz pauschal heimzuzahlen.
Aber ganz ehrlich – wer lacht hier eigentlich?
Das Publikum, weil es den Witz verstanden hat? Oder nur, weil es froh ist, dass gerade nicht über es gelacht wird?
Ich stelle mir manchmal vor, wie meine Zuhörer nervös lachen. Dieses Kichern, bei dem man nicht sicher ist, ob man über den Witz oder über sich selbst lacht.
Denn Satire hält uns allen den Spiegel vor. Und das Bild darin ist selten schmeichelhaft.
Es zeigt uns nicht, wie wir gerne wären, sondern wie wir oft sind: bequem, angepasst, überfordert, aber mit moralischem Anspruch auf Richtigkeit.
Und so lachen wir.
Nicht, weil es wirklich lustig ist. Sondern weil es uns schützt. Weil das Lachen uns für einen Moment entlastet von der Verantwortung, tatsächlich etwas zu ändern.
Ich kenne das selbst.
Ich habe Sätze geschrieben, bei denen ich wusste: Autsch. Der tut weh.
Und dann lese ich Kommentare wie:
„Haha! So wahr! Deswegen wähl’ ich die AfD!“
Und ich denke:
Das war keine Zustimmung. Das war eine Tragödie in Kommentarfunktion. Völliger Fehlschlag!
Manchmal frage ich mich, ob wir Satiriker nicht eher so etwas wie ein kollektiver Entlastungskanal für zynische Nihilisten sind.
Wir stehen auf der Bühne, predigen die unbequemen Wahrheiten – aber nur für Leute, die sie schon kennen.
Die anderen lachen auch – aber aus Versehen.
Und dann gehen sie nach Hause, stimmen bei der nächsten Wahl für genau die Leute, über die wir uns lustig gemacht haben, und posten noch schnell ein Meme von Jan Böhmermann hinterher.
Der Kreislauf ist geschlossen. Die Pointe verdampft.
Die politische Satire. Unser täglich Spott gib uns heute.
Politiker durch den Kakao ziehen – das ist das Fast-Food der Satire. Schnell gemacht, leicht bekömmlich, aber meistens ohne nachhaltige Wirkung.
Und seien wir ehrlich: Sie machen es uns auch unfassbar leicht.
Da steht ein Minister in der Talkshow, redet sich um Kopf und Kragen, und ich sitze da wie ein Kind am All-you-can-eat-Buffet und denke: „Danke, das schneid’ ich mir raus.“
Sie liefern uns das Material frei Haus.
„Oh, Sie brauchen Stoff für Ihre Sendung?“
„Bitte sehr, hier ist mein letzter Tweet. Inklusive Realitätsverweigerung, Zahlenverdrehung und einem Hauch Nationalpopulismus.“
Wir können gar nicht anders.
Wir müssen uns über sie lustig machen. Es ist fast schon biologisch – wie ein Reflex auf verbale Blähungen im Plenarsaal.
Und doch fragt man sich: Was bringt’s?
Wenn du dich schallend über einen Politiker lustig machst – und dieselben Leute wählen ihn trotzdem wieder – was hast du dann verändert?
Wir lachen über peinliche Auftritte, wir teilen Clips, wir schreiben bissige Kommentare mit maximaler Pointeffizienz. Und dann?
Dann gehen wir zur Wahlurne und machen ein Kreuz bei genau denen, über die wir gerade noch gelacht haben.
Es ist ein grotesker Tanz. Ein Endlosschleifen-Ballett der Entrüstung.
Wir schimpfen, wir spotten – und dann spenden wir ihnen Applaus. Oder zumindest politische Relevanz.
Vielleicht liegt das Problem darin, dass politische Satire oft als Therapie wirkt, aber nicht als Therapieform.
Sie ist ein Ventil. Wir lassen Dampf ab, fühlen uns für einen Moment überlegen, klüger, wacher – aber die Gesellschaft bleibt, wie sie ist.
Die Satire war brillant. Aber die Wahl war trotzdem Mist.
Und so lachen wir uns den Frust von der Seele, mit einer Pointe als Pflaster – und ignorieren, dass darunter längst der gärende Eiter schwelt.
Die politische Realität ist kein Cartoon, den man einfach umblättern kann. Aber Satire tut oft so, als wäre sie genau das: eine gezeichnete Überspitzung, eine Karikatur mit eingebautem Sicherheitsabstand.
Wir tun so, als könnten wir uns durch Witz immunisieren gegen die Dummheit da draußen – und merken nicht, dass wir selbst längst Teil der Show geworden sind.
Denn Satire verändert selten die Verhältnisse. Aber sie verändert die Stimmung.
Und Stimmungen sind das morphende Silikon der Demokratie – dehnbar, formbar, oft durchschaubar, aber leider auch wahlentscheidend.
Vielleicht ist das Bitterste an politischer Satire: Sie darf alles – aber sie bewirkt so wenig.
Sie kann die Absurditäten beleuchten, die Widersprüche offenlegen, den Irrsinn ins Rampenlicht zerren – aber sie bleibt oft dort stehen.
Der Zuschauer lacht.
Der Politiker bleibt.
Und die Pointe verpufft irgendwo zwischen Kabarettbühne und Kommentarspalte.
Ich frage mich, ob wir mit politischer Satire nicht vor allem unser eigenes Unbehagen übertünchen. Wir simulieren Widerstand – durch Spott. Wir glauben, Kritik sei Handlung – dabei ist sie oft nur Haltung.
Ein Text, der einen aufweckt, ist wichtig.
Aber er ersetzt kein Handeln.
Und doch: Vielleicht ist es gerade das, was Satire im Politischen leisten kann. Kein Umsturz, keine Revolution – aber ein Weckruf. Ein rhythmisches Kopfnicken der Erkenntnis, bevor wir wieder einschlafen.
Satire ist kein Hebel der Macht.
Aber sie ist die Nadel, die sticht, wenn die Gesellschaft sich zu bequem in ihren Narrativen einrollt.
Sie kann nicht alles.
Aber sie kann zeigen, was nicht stimmt.
Und das ist immerhin ein Anfang.
Nur sollte man danach vielleicht nicht direkt wieder einschlafen.
Nun, Politische Satire ist schön und gut – aber meine wahre Leidenschaft gilt – wie ihr wisst – dem alltäglichen Wahnsinn.
Die echten Grotesken findet man nicht im Kanzleramt, sondern an der Kasse im Supermarkt, in WhatsApp-Gruppen mit dem Titel „Familie <3“ und beim Bäcker, wenn jemand „ein ganz normales Brötchen“ will, aber dann fünf Minuten lang über die Kruste diskutiert.
Das ist mein Gold.
Es ist fast schon banal, die täglichen Dummheiten und Widersprüche bloßzustellen – sie liegen buchstäblich auf dem Gehweg.
Man muss gar nicht tief graben.
Man braucht in Zeiten wie diesen einfach nur aus dem Fenster schauen.
Das Problem ist: Kaum jemand sonst schaut noch aus dem Fenster.
Stattdessen schauen wir auf Bildschirme, auf denen uns ein algorithmisch kuratierter Zerrspiegel zeigt, was wir ohnehin schon glauben.
Und da komme ich ins Spiel.
Ich bin das Außenfenster, das sich selbst öffnet. Ich beobachte, ich sammle, ich werte aus – und mache daraus Satire.
Wenn ich sehe, wie zwei Menschen in der Bäckerschlange sich bis aufs Existenzielle zerlegen, weil „dieses Mohnbrötchen aber nicht aussieht wie das von gestern“, dann weiß ich:
Das hier ist Stoff. Das hier ist mein Stoffwechsel.
Alltag ist nicht banal – er ist tragikomisch in Reinform.
Und Satire ist nichts anderes, als dem Alltäglichen den absurden Glanz zu verleihen, den es verdient.
Es ist erstaunlich, wie viel man über die menschliche Natur lernen kann, wenn man einfach mal beobachtet, wie Leute auf Rolltreppen agieren.
Links gehen, rechts stehen – ein Regelwerk so simpel, dass es in eine SMS von 1999 gepasst hätte.
Und doch steht da immer einer mittig. Unbeweglich.
Wie eine Statue der Selbstvergessenheit.
Man möchte ihm zurufen: „Du bist kein Kunstwerk, du stehst im Weg!“
Aber man tut es nicht. Man schweigt – und sammelt Material.
Denn diese kleinen Absurditäten, diese Mikro-Verfehlungen des Alltags sind der unendliche Rohstoff, aus dem meine Satire besteht.
Sie sind gleichzeitig harmlos und hoch symbolisch.
Der Mensch, der sich in der Schlange vordrängelt, der Typ, der im Parkverbot steht und sagt: „Ich bin ja gleich wieder weg.“, die Frau, die lautstark über Empathie philosophiert, während sie der Kassiererin nicht in die Augen sieht – das ist alles große Satire in kleiner Verpackung.
Es sind diese Szenen des alltäglichen Scheiterns, die mich faszinieren.
Die Mischung aus Selbstüberschätzung und Weltabgewandtheit, aus Anspruch und Realitätsverweigerung.
Und das Beste daran: Sie wiederholen sich.
Täglich. Stündlich. Wie ein schlecht programmierter Sketch, den niemand mehr stoppt.
Für Satiriker wie mich ist das nicht nur Fundgrube – das ist Eldorado. Ein Minenfeld der Menschlichkeit. Ein unendlicher Strom an grotesken Momenten, bereit, in bissige Bemerkungen verwandelt zu werden. Und ich bin der Typ mit dem Mikrofon und dem Scheinwerfer, der ruft: „Achtung, gleich wird’s peinlich!“
Der wahre Antrieb für Unsereinen liegt in einer seltsamen Mischung:
einem Übermaß an Beobachtungsgabe und einem chronischen Mangel an Hoffnung.
Wir Satiriker sehen uns oft als Götter der scharfsinnigen Analyse.
Wir glauben, wir schauen klarer, tiefer, ehrlicher – während wir in Wahrheit nur das Offensichtliche mit einer extra Portion Zynismus garnieren.
Und doch: Wir haben gelernt, genauer hinzusehen.
Während andere den Lärm der Welt überhören, filtern wir ihn durch unsere innere Kritikerkommode, sortieren ihn in Schubladen mit Etiketten wie „Schwachsinn mit System“, „Ironische Randnotiz“ oder einfach „Bitte nochmal lesen – das kann nicht ernst gemeint sein.“
Aber das macht auch etwas mit uns.
Wir müssen uns wirklich mühen, nicht immer nur das selbe Dunkel zu sehen. Denn wir stehen auf einem Podest aus Pointen, lachen über die Schwächen der Menschheit – und merken oft gar nicht, dass wir selbst längst Teil der Farce sind.
Wir spotten über die Verdrängung der anderen, während wir selbst unsere eigene Ohnmacht mit Witzen betäuben.
Denn Satire ist nicht nur unser Werkzeug – sie ist auch unsere Selbstverteidigung.
Sie ist der Spott gegen die Dummheit der Welt, ja.
Aber manchmal ist sie auch nur unser letzter Trick, um nicht selbst durchzudrehen.
Satire ist unser Überlebensmechanismus in einer Realität, die oft wie ein schlecht geschriebener Witz wirkt – nur ohne Pointe.
Dann sitzen wir da, nachts, mit dampfendem Kaffee und durchgegrübeltem Zynismus, tippen das Wort „Systemversagen“, lachen leise über unsere eigene Brillanz – und fragen uns dann, ob es nicht doch einfacher wäre, einen Katzenblog zu starten.
Denn die Frage zwickt noch immer: Was bringt das eigentlich?
So starre ich auf das leere Dokument, der Cursor blinkt wie ein kleines, nervöses SOS – und ich frage mich, was ich da tue.
Ich schreibe, als könnte ich durch Wörter den Lauf der Dinge verbiegen. Als wäre Ironie eine politische Kraft, Zynismus ein Werkzeug der Gerechtigkeit.
Ich bastle an Pointen wie andere an Rettungswesten – nur, dass meine aus Pappmaché bestehen.
Ich lese meinen Text, klopfe mir innerlich auf die Schulter, denke: „Das hat gesessen.“
Und dann frage ich mich, wer überhaupt getroffen wurde.
Vielleicht niemand.
Vielleicht nur ich selbst.
Denn das ist das Dilemma des Clowns:
Er lacht laut, damit niemand hört, wie sehr er zweifelt.
Vielleicht bin ich nicht der, der aufrüttelt – sondern der, der den Schlaf begleitet. Mit Worten.
Es wäre so einfach, das alles zu lassen. Einen gepflegten Rückzug einzuleiten, das Leben beobachten wie eine seltsame Naturdoku – mit Popcorn und emotionaler Distanz.
Aber irgendetwas in mir weigert sich.
Vielleicht ist es nur der Trotz oder die grausame Eitelkeit.
Oder vielleicht – ganz leise – doch die Hoffnung, dass irgendwo da draußen jemand sitzt, der gerade einen kleinen Riss in seinem Weltbild spürt.
Nur einen Riss.
Und dass ich vielleicht mit dem nächsten Text einen zweiten hinzufügen kann. Wäre doch schön, wenn mal einer sagt: „Du hast den Funken gezündet, ich hab ein bisschen Wind gemacht – und siehe da: Es brennt. Im besten Sinne.“
Ja, nun.
Es fällt mir nicht immer leicht, dranzubleiben.
Zunehmend immer schwerer.
Manchmal denke ich: Vielleicht ist es Zeit, den Hut zu nehmen – und ihn endgültig auf die Blödheiten dieser Welt zu werfen.
Mich zurückzulehnen, dem Untergang zuzusehen und dabei still in meinen Espresso zu murmeln: „Ich habs euch gesagt.“
Denn machen wir uns nichts vor: Die Dummheit gewinnt oft durch schiere Ausdauer.
Und sie brüllt lauter als jedes noch so fein formulierte Argument.
Ich öffne die Zeitung, und da springt mir wieder eine Schlagzeile ins Gesicht wie ein nasser Waschlappen mit Anlauf.
Kaum hat man sich vom letzten intellektuellen Totalausfall erholt – kommt schon die nächste Nachricht mit dem Untertitel: „Halt mein Bier.“
Und dazwischen: Menschen, die sich darüber streiten, ob es regnet – während sie klatschnass sind.
Mein innerer Satiriker seufzt, mein äußerer zuckt mit den Schultern – und meine Motivation?
Die liegt wahrscheinlich irgendwo auf den Bahamas, trinkt Mojito aus einer aufgerollten Pointe und schickt mir per Flaschenpost eine Notiz:
„Warum? Was bringt’s? Die, die’s hören sollten, tun’s eh nicht. Und der Rest? Der weiß es doch schon.“
Bumm.
Die die es hören sollten, erreichen wir nicht.
Die, die wir erreichen, wissen es schon.
Also, Wozu der Aufwand?
Stimmung futsch. Schreiblust futsch.
Und dann? Dann kommt wieder irgendjemand daher und sagt, Humor sei eine Waffe gegen das Absurde.
Er will, dass ich weitermache, nur weil ich Sarkasmus von Zynismus unterscheiden und ab und an erfolgreich eine Pointe in einem Kommentarbereich unterbringen kann, ohne gelöscht zu werden. Er hat leicht lachen, Er muss ja auch nicht den Kopf hinhalten, wenn irgendein anonymer Hater, mit dem Intelligenzquotienten einer alten Wurstsemmel, mal wieder zu blöd ist und nichts versteht.
Ich möchte mich gar nicht als Weltenretter inszenieren.
Ich bin kein Aufklärungsapostel, kein digitaler Don Quijote, der gegen die Windmühlen der Verdummung reitet.
Ich schreibe, weil ich sonst nicht weiß, wohin mit mir.
Weil es mein Weg ist, mich mitzuteilen – in einer Welt, die zwar permanent redet, aber kaum noch zuhört.
Dass dabei manchmal Gedanken entstehen, die andere aufhorchen lassen, ist ein schöner Nebeneffekt. Aber nicht der Ausgangspunkt.
Doch je mehr ich das Gefühl habe, dass alles den Bach runtergeht, desto öfter frage ich mich, ob ich nicht einfach mit den Bach runtertreiben und dabei leise „Ciao Kakao“ summen sollte.
Und dann, kurz bevor ich auf „Alles löschen“ klicke, höre ich irgendwo diese kleine Stimme:
„Wenn du aufhörst – wer macht dann weiter?“
Gute Frage.
Hier ist die Antwort: Wenn wir aufhören, machen die Anderen trotzdem weiter.
Die, die vereinfachen. Die, die hetzen.
Die, die mit Schlagworten argumentieren und mit Angst regieren.
Die, die das laute rumgegröle halbstarker Wurstsemmeln für Demokratie halten.
Die Geschichte hat uns oft genug gezeigt: Schweigen hilft immer den Falschen.
Also ja – es ist frustrierend.
Es ist oft zermürbend.
Es fühlt sich manchmal an wie Schreiben gegen eine Wand aus Memes und Meinungen.
Aber wenn wir aufhören, dann bleibt nur noch das Echo der Dummheit.
Also Scheiß drauf, ich mach weiter.
Vielleicht erreichen wir nicht viele.
Aber vielleicht erreichen wir den einen 17-Jährigen, der gerade merkt, dass er Fragen stellen darf.
Oder die müde Angestellte, die nach einem langen Tag ein paar Zeilen liest – und das Gefühl bekommt, nicht allein zu sein mit ihren Zweifeln.
Wir werden die Dummen nicht schlauer machen.
Aber vielleicht verhindern wir, dass die Klugen aufgeben.
Denn das Aufgeben wäre die denkbar schlechteste Pointe.
Und wenn am Ende doch alles scheitert – hab ich wenigstens das letzte Lachen.
Ich wollte eine Meta-Satire über Satire schreiben.
Und am Ende lande ich doch wieder da, wo alles beginnt:
Die Welt ist ein Zirkus.
Wir alle sind Clowns.
Und ich?
Ich bin der Clown mit dem scharfen Mundwerk und wenn ich etwas Glück habe, bleibt mir dafür sogar noch ein wenig Publikum übrig.
Vielen Dank – Euch allen!