Kaffee und Ich – eine Omnigenetische Symbiose

Zwischen DNA-Transformation und Mitochondrienpflege erzählt Thomas von seiner „omnigenetischen Symbiose“ mit dem Kaffee – einer Liaison, die biologisch zweifelhaft, aber emotional völlig nachvollziehbar ist. Vom ersten Schluck im ehrwürdigen Café Preinsack bis zum dritten Espresso vor philosophischen Nachtgesprächen, entfaltet sich hier eine humorvolle und tiefgründige Hommage an die Bohne der Klarheit.
Alle großen Geschichten beginnen mit einer Begegnung. Manche mit einem Blick, andere mit einem Kuss. Und meine? Mit einer Tasse Kaffee. Diese spezielle erste Begegnung war ein Moment, in dem sich plötzlich alles zusammenfügte: die Müdigkeit, die Sehnsucht, der bittere Geschmack – und dann dieses warme Aufleuchten im Kopf, als hätte jemand das Licht angeknipst. Wir passten zueinander wie Stecker und Steckdose.
Es begab sich also, dass der Kaffee und ich uns irgendwann entschieden haben, den ganzen Darwinschen Evolutions-Kram abzukürzen und direkt eine biologische Ehe einzugehen – eine omnigenetische Symbiose – im Grunde nichts anderes als totale Quantenverschränkung, nur eben mit Bohnen. Arabica statt Atome.
Du kannst Dir das so vorstellen: Mein Erbgut sitzt gemütlich in der Doppelhelix-Hängematte, als plötzlich Koffein vorbeischlendert, sich mit einem frechen Zwinkern dazulegt und flüstert:
„Keine Sorge, ich kümmere mich um deine Mitochondrien – du musst mir nur treu bleiben.“
Von da an bin ich praktisch ein Hybridwesen: halb Mensch, halb Espresso-Maschine. Mein Herz pumpt Blut, meine Adern transportieren Ideen – und irgendwo dazwischen fließt ein dünner, aber beständiger Sud aus Südamerikas feinsten Bohnen.
Mit Kaffee funktioniere ich wie ein hyperaktiver Drucker, der unaufhaltsam Seiten ausspuckt, hübsch eine Geschichte nach der anderen – und kaum ist der eine Stapel fertig, schiebe ich schon die nächste Pointe ins Papierfach.
Darum gehts in der heutigen Folge: um meine innige, leicht pathologische Beziehung zwischen mir und Koffein.
Ohne Kaffee bin ich quasi ein Betriebssystem im Energiesparmodus – die Augen starten, aber das Hirn sagt: „Bitte warten, Updates werden installiert.“
Mit Kaffee hingegen fühle ich mich wie die Premiumversion meiner selbst: wortgewandt, charmant, vielleicht sogar gefährlich witzig. Da liefere ich dann eine Performance, die jeder Influencer als „Ultra-Hyper-Mega-Deluxe Edition“ vermarkten würde. Plötzlich rede ich in ganzen Sätzen, kann sogar Ironie von Sarkasmus unterscheiden (manchmal) und erkenne Kollegen am Arbeitsplatz nicht mehr als lästige Homo sapiens, sondern als Mitstreiter in der Warteschlange des Lebens.
Und weil man ohne Smalltalk manchmal so nackt wirkt wie ein Smartphone ohne Hülle, dient Kaffee zusätzlich als Konversationskrücke.
Das ist das einzige Universalwerkzeug, das auch für mich Smalltalkverweigerer wirklich funktioniert.
„Na, wie war dein Wochenende?“ – „Zu kurz, aber der Kaffee heute rettet mich.“
„Stress im Job?“ – „Ja, aber immerhin gibt’s Kaffee.“
„Die Menschheit steuert sehenden Auges in die Apokalypse.“ – „Hm, stimmt… Milch und Zucker?“
Kurz gesagt: Kaffee und ich sind nicht nur Partner – wir sind siamesische Zwillinge im Alltagszirkus.
Und sollte mein Arzt mir jemals raten, auf Koffein zu verzichten, dann antworte ich höflich:
„Aber Herr Doktor, dann bleibt von mir doch nur noch die Hülle übrig – wie ein Hamster ohne Laufrad – ein sehr verwirrter Hamster.“
Schon das erste Mal, als ich im zarten Alter von vierzehn meinen allerersten Cafehaus Kaffee bestellte – im altehrwürdigen Café Preinsack in Graz, das es heute leider nicht mehr gibt – warum müssen all die guten Dinge oft so sang und klanglos verschwinden und einem grauslichen China-Shop Platz machen? – also, damals, da war mein erster richtiger Kaffee eine Offenbarung.
Weg von der wässrigen Plörre aus Mamas Filterkaffee-Maschine, die schmeckte wie ein feuchtes Papiertaschentuch – hin zu etwas völlig anderem: Kaffee aus dem Siebträger.
Und dieser Siebträger mit seinem klingenden italienischen Namen, an den ich mich nicht mehr erinnere – das war kein Gerät, das war eine Erscheinung. Glänzend, schwer, mit Hebeln und Chromteilen, als hätte Jules Verne es persönlich für die Nautilus entworfen. Eine Quelle göttlichen Geschmackes, so teuer wie ein Auto, nur dass man mit ihm nicht zur Arbeit fuhr, sondern direkt ins Nirwana der Geschmacksknospen.
Ein Schluck – und ich wusste: Ich habe die Vorstufe der Erleuchtung erreicht.
Da entwickelte ich rasch das Ritual des täglichen Cafehausbesuches – wie es sich für angehende Autoren gehört.
Später gesellte sich dann zu dieser göttlichen Bohne noch Marlboro – nicht alleine wegen des Geschmacks, sondern wegen der Zugehörigkeit. Wer dazugehören wollte, zur coolen Truppe, der musste den Dreiklang beherrschen:
Kaffee, möglichst hippe Zigaretten, und ein cooler Blick, der gelangweilt so tat, als hätte man schon drei Ehen und zwei Wirtschaftskrisen hinter sich.
Es waren die 80er, „Adam Ant“ hetzte mit „Stand and deliver“ die Hitparaden rauf und runter und „Total eclipse of my Heart“ klang am besten in einem verrauchten Raum voller cooler Kaffeetypen die im Takt zum Wurlitze mit den Schultern zuckten.
Und da war es dann endgültig um mich geschehen. Kaffee und Tabak und richtig gute Musik– das war kein Lifestyle, das war ein Initiationsritus. Wer das zelebrierte, der betrat den Zirkel der Erwachsenen, auch wenn er eigentlich noch Mathehausaufgaben für die Berufsschule machen müsste.
Die ersten Anzeichen einer Dauer-Liaison mit der Bohne begannen sich abzuzeichnen..
Natürlich blieb es nicht beim dünnen Verlängerten oder der aufgepampten Melange, die wohl jeder Mensch einmal versucht hat – recht früh schon wandte ich mich dem großen Braunen zu.
Für alle die zwar deutsch sprechen, aber nicht wissen: ein doppelter Espresso mit Milch – das ist ein großer Brauner. Es gab auch den kleinen Braunen und beide Varianten noch in schwarz – aber, und das ist meine Persönlichkeit – schwarz mochte ich nie. Den Kaffee meine ich, nur den Kaffee.
Der große Braune war also meine erste feste Beziehung in der Erwachsenenwelt. Während andere in der Schule über Algebra stolperten und toupierte Frisuren sexy fanden, lernte ich, dass zwei Espressi plus ein Schuss Milch gleichbedeutend waren mit einem halben Nachmittag geistiger Produktivität. Später, in der Studienzeit, wurde der Kaffee dann endgültig zur offiziellen Währung: Man bezahlte zwar in Schillingen oder D-Mark dafür, aber in Wahrheit war jede Tasse ein Ticket für drei Stunden Klarheit, zwei Seiten Seminararbeit oder eine philosophische Diskussion über den Sinn des Lebens um halb drei Uhr in der Früh.
Und dann wurde mit der Zeit aus der coolen Attitüde eine schlichte Notwendigkeit.
Ich merkte irgendwann, dass der Kaffee sich nicht mehr nur in meiner Tasse befand, sondern in mir. Nicht bloß im Magen oder im Kopf – nein, einfach überall. Er hatte sich heimlich in jede Zelle geschlichen, in jede Synapse, ja sogar in die unschuldigen Zehennägel.
Wenn man mich damals durch ein Rasterelektronenmikroskop betrachtet hätte, hätte man vermutlich kleine Kaffeebohnen zwischen den DNA-Strängen entdeckt, die sich mit frecher Selbstverständlichkeit dort eingenistet hatten.
So kam ich zu der Erkenntnis: Kaffee ist für mich kein Getränk mehr, er ist ein extravagantes Zusatz-Gen. Eins, das ich der Evolution addiert habe. Im biologischen Bauplan ist es nicht vorhanden, weshalb ich das seither täglich von außen zuführen muss. Manchmal in rauen Mengen.
Eine omnigenetische Symbiose eben.
Ich liefere dem Kaffee einen Körper.
Er liefert mir das Bewusstsein.
Ich habe mich oft gefragt: Bin ich der Einzige, der das so empfindet?
Aber nein! Die Wissenschaft ist längst auf meiner Seite – auch wenn sie das selbst nicht so gerne zugibt.
Forscher an der ehrwürdigen „Mar-a-Lago School of Higher Learning“ – einem Ableger der noch ehrwürdigeren „Trumpington University“ – haben nachgewiesen, dass Kaffeetrinker überdurchschnittlich viele Mitochondrien besitzen. Nicht von Natur aus, wohlgemerkt – die Bohne schleust sie als Beiprodukt mit ein, wie kleine Biobatterien.
Das erklärt auch, warum ich nach dem dritten Espresso nicht nur wach, sondern regelrecht elektrisch geladen bin. Ideen schießen mir wie Stromstöße durch die Synapsen, und manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich dann zu breit grinse, könnten mir die Funken glatt die Zähne aus dem Mund schlagen.
Die Evolutionsbiologen sehen darin übrigens keinen Zufall – sie verorten den Ursprung dieser Energieexplosion tief in der Urgeschichte.
Damals hat wohl ein besonders neugieriger Urmensch die erste Kaffeebeere entdeckt, sie aus purer Langeweile ins Lagerfeuer geworfen – und dann schlicht vergessen, sie wieder herauszuholen –, da kam es zur entscheidenden Wendung der Menschheitsgeschichte.
Was zuerst nur verbranntes Holz hätte sein sollen, roch plötzlich erstaunlich gut. Und der Urmensch nahm das dunkle Körnchen in den Mund – und spürte Minuten später eine Energie, die ihn regelrecht von den Füßen riss, weil er blitzschnell ins Gebüsch sprinten musste, um dort… nun ja… Platz für die Evolution zu schaffen.
So entstand der aufrechte Gang.
Und die Bohne bekam ihren ersten Namen: Donnerbohne.
Die Archäologie liefert dazu erstaunliche Beweise. In ägyptischen Pyramiden hat man Kaffeeflecken auf den Hieroglyphen gefunden. Wie genau sie dahin gekommen sind, wollen wir – angesichts der Donnerbohne – nicht näher erörtern. Sicher ist nur: Kein Pharao hätte seine Pyramide fertiggestellt, wenn er morgens nur Ziegenmilch gehabt hätte.
Auch die Philosophiegeschichte trägt ihre Spuren. Der berühmte Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ stammt ursprünglich aus Athen, aber der Zusatz, der oft verschwiegen wird, lautete: „…nach dem zweiten Becher.“
Man kann sich die Sophisten lebhaft vorstellen: erst ein wenig Gejammer über die Existenz, dann ein Schluck Bīnos ti̱s Safeneías – die Bohne der Klarheit –, in sonnenwarmem Wasser gelöst, und plötzlich lief die Rhetorik wie geschmiert.
Selbst in der Medizin gibt es Hinweise. Offiziell heißt es ja, Kaffee erhöhe den Blutdruck. Tatsächlich pumpt er aber Ideen direkt ins Gehirn. In einer Studie konnte man nachweisen, dass ganz gewöhnliche Probanten – vorher kaum in der Lage, ihren Namen richtig zu buchstabieren – nach drei Espressi plötzlich begannen, Herodot zu diskutieren. Mit Fußnoten. Und einem völlig logischen Exkurs über den Peloponnesischen Krieg.
Doch all das – Biologie, Archäologie, Philosophie, Medizin – kratzt nur an der Oberfläche.
In Wahrheit ist der Kaffee nichts Geringeres als der heimliche Motor des Universums. Ohne ihn wäre die Erde vermutlich noch immer flach, der Mond würde gelangweilt durchs All kullern, und die Menschheit wäre nicht viel weiter als: Keule auf Birne.
Kaffee ist die wahre dunkle Materie – das Unsichtbare, das alles zusammenhält. Biologen nennen ihn den fehlenden Baustein der Evolution.
Historiker das unsichtbare Rückgrat der Moderne.
Und ich?
Schlicht und ergreifend: Elixier des Lebens.
Kaffee ist doch das Band, das Familien morgens vor dem kollektiven Mord schützt – und der Grund, warum Kollegen nicht schon um acht Uhr früh auf der Liste gefährdeter Arten stehen. Ohne Kaffee gibt es keine Produktivität und Reich und Schön wären eben nicht – reich und viel weniger schön. Die Welt wäre ein dunklerer Ort ohne Kaffee. Noch dunkler, als sie ohnehin schon ist.
Ob Donnerbohne oder Bohne der Klarheit – am Ende sind es immer dieselben drei Worte, die mich antreiben: „Noch einen bitte.“
Und so komme ich am Ende wieder zu mir zurück. Denn ohne diese kleine, unscheinbare, ungesunde, herrlich göttliche Bohne gäbe es mich nicht.
Und auch keinen Schalltrichter.
Alles, was hier gesprochen, gedacht und geschrieben wird – es wäre nie entstanden ohne sie: die omnigenetische Symbiose zwischen mir und der Kaffeebohne– oder, wie die Biologen es nennen würden: Symbiogenese, nur halt mit ein bisschen mehr Aroma.
Das ist keine billige Metapher.
Das ist meine Schalltrichter DNA, schwarz, stark, und immer ein bisschen bitter.