Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
5. September 2024

Dumme Fragen – und manch dumme Antwort

Zwei männer, die sich vor dem lLift im untersten Geschoss einer Tiefgarage treffen. Der eine fragt: "Fährst nach oben?" - die Ironie: Der Lift kann von hier nur nach oben fahren.

Willkommen zurück zu „Der Schalltrichter“, wo Thomas Speck diesmal die Bühne für ein Spektakel der besonderen Art bereitet: Die Gala der dummen Fragen! In dieser Episode dreht sich alles um jene subtilen Meisterwerke der Ignoranz, die es schaffen, selbst die geduldigsten Seelen in den Wahnsinn zu treiben.

Kennst Du den Spruch: Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten?
Ich bin in dieser Frage zwiegespalten – obwohl ich im Grunde glaube, das es stimmt. Jedoch bin ich der Meinung, das es davon abhängt. Von der Intention des Fragenden nämlich. Also, warum er oder sie eine Frage stellt. Und damit gibt es dumme Fragen.

Ein Highlight jeder dummen Frageliste ist: „Darf ich dich was fragen?“ Oh, die Ironie! Eine Frage über das Fragenstellen. Das ist wie ein Kuchen, der sich selbst bäckt. Genial, oder?
Doch, keine Sorge, liebe Fragesteller, diese Naivität wird stets in Ehren gehalten. Denn ohne diese dummen Fragen hätten wir klugen Köpfe keine Bühne, um unsere Brillanz zu entfalten. Und wer wäre ich, anderen diese Freude zu nehmen?

Wie geht es dir?
Oh, das ist die Königin aller dummen Fragen, die majestätische Herrscherin der bedeutungslosen Konversation.
Eine Frage, die so harmlos daherkommt und dennoch so tief in die Abgründe menschlicher Oberflächlichkeit blicken lässt. Eine Frage, die wie ein trojanisches Pferd wirkt: außen freundlich und einladend, innen jedoch voller hohler Phrasen und unausgesprochener Desinteressen.
„Wie geht es dir?“ lässt mich immer sehr aufmerksam werden. Diese Frage ist eine Floskel gleichermaßen wie sie eine gute, liebende Frage sein kann. Ein Schmetterling aneinandergereihter Silben, der entweder die Blumen der Aufrichtigkeit bestäubt oder einfach nur auf dem Mist der Belanglosigkeit landet. Interessierst du dich wirklich, wie es mir geht, oder ist es dein Eisbrecher, der eine Konversation einleiten soll?
Ich finde das meist schnell heraus, indem ich „Wie geht es dir?“ wahrheitsgetreu beantworte, wenn ich überhaupt dazu komme. Seltsam, was man dann manchmal für Reaktionen bekommt. Ein ehrliches „Ich bin heute ziemlich niedergeschlagen“ wirkt oft wie eine Zombie-Apokalypse: Leute flüchten, Gesichter entgleisen, und der Raum leert sich schneller als bei einem Feueralarm.

Wer interessiert sich denn wirklich für den anderen, wenn man fragt: „Wie geht es dir?“ Will man das eigentlich tatsächlich wissen? Hier betreten wir das Reich der rhetorischen Fragen, wo Worte Bedeutungslosigkeit signalisieren. Ich bin manchmal in grauen Gedanken – weil das meine Persönlichkeit ist. Das sage ich dann auch, weil ich Worte gerne nehme, als das, was sie bedeuten. Überraschenderweise stößt das selten auf Begeisterung.
Kleines Beispiel: Da fragt die Nichte – sie holt tief Luft: „Wie geht’s dir? Weißt, mir geht’s super, aber …“ Und noch im selben Atemzug erfahre ich davon, wie Oma den Apfelstrudel bäckt, Mama gestern wieder mal völlig daneben war und sowieso den ganzen Affenzirkus in der Schule und vor allem die Jungs! Ah, hey – hast nicht Du mich gefragt? Es scheint, als sei ich lediglich der Soundtrack zu deinem Monolog.
„Wie geht es dir?“ Das ist eine sehr verbindliche Frage. Sie suggeriert echtes Interesse, lässt es so aussehen, dass der Fragende Anteil nimmt und verführt einen dazu, den Mund zu öffnen, um etwas dazu sagen zu wollen.

Die andere Seite der Medaille ist, dass die allermeisten das auch tun, aber nicht wahrheitsgetreu antworten. „Ja gut, geht schon“, ist die wohl am häufigsten gesagte Lüge aller Zeiten. Und auch dieses „Ja gut, geht schon“ hat zwei mögliche Bedeutungen. Entweder, man mag nicht drüber reden. Oder, man erwartet, dass der ohnehin schon Fragende nun seine zweite Frage stellt: „Was ist denn los?“ Und dann geht es los, mit den najaas und weißt ehhs. Als ob man erst eine zweite Versicherung gebraucht hat, um dann über alles Mögliche zu reden und doch nicht die Wahrheit zu sagen.
Dieses „Ja gut, geht schon“ ist, was ich als dumme Antwort bezeichnen möchte und der These, dass es eben keine dummen Fragen gäbe, als Beweis genügt. Aber Fakt ist, dass wir noch immer von ein und derselben Frage ausgehen: „Wie geht es dir?“ Einmal ist sie also dumm und einmal ist sie das nicht. Und das ist, wie nun unwiderlegbar bewiesen, abhängig von der Intention des Fragenden.

Es gab in meiner Siedlung zwei ältere Damen, sehr nett beide, ich mag sie gut leiden. Sie wohnen seit über 40 Jahren Tür an Tür hier, und beide sind Witwen. Treffen sie sich an der Bushaltestelle oder beim Einkaufen, beginnt das Gespräch immer gleich: „Ja, schau her, die Rosa, lang nimmer getroffen, gell? Wie geht’s dir denn? Ich komm ja grade vom Doktor, stell dir vor, was da heute wieder alles los war.“ Der Rest geht unter, sich gegenseitig darin zu übertrumpfen, wer die größeren Schmerzen und das schlimmere Leiden hat, die schwereren Medikamente nehmen muss und die nervigere Wartezeit beim Doktor hatte. Das mündet in einen Vergleich, wer von den beiden wohl früher in die Grube fährt, nur um die andere auch da ein wenig zu übertrumpfen.
Wieso fragt man, wenn man es gar nicht wissen will? Oder, warum antwortet man, wenn man’s gar nicht sagen will? Weshalb sagt man nicht: „Ich mag nicht drüber reden?“ Fragen, die Fragen fragen – das Thema dumme Fragen scheint nur Fragen zu liefern, aber wenig Antworten.
Dieses „Wie geht es dir?“ ist ein echtes Universalgenie der Konversationseinleitung – obwohl es meistens nur eine leere Worthülse ist, die zwar wohlklingend, nur selten echte Bedeutung hat. Eine Floskel eben.

Wo es ein Genie zur Eröffnung gibt, muss es auch eine Frage geben, die Konversationen beenden kann. Universell einsetzbar soll sie sein und deshalb für alle Absichten als Ausdruck oder Auslöser geeignet. So etwas gibt es. Es ist nur ein Wort, wogegen das „Wie geht es dir?“ deren vier benötigt. Es ist dem „Wie geht es dir?“ auch haushoch überlegen, weil man es von liebevoll bis boshaft einsetzen kann. Frei nach Rene Borbonus: Wenn du jemanden emotional voll in die Wand fahren möchtest und in kürzester Zeit zur Verzweiflung bringen willst, musst du nur ganz oft folgende Frage stellen:

Warum?

Neben der Königin „Wie geht es Dir“ ist das „Warum“ das fieseste und gleichzeitig prachtvollste Exemplar einer möglicherweise dummen Frage. Der Hofnarr der Königin, wenn man so möchte. Eine wahre Waffe der Konversation, ein Meisterwerk der Subtilität. Stell dir vor, du kommst nach Hause und freust dich, dass du den Einkauf gut erledigen konntest. Du begrüßt deinen Partner und sagst: „Sieh mal, ich habe gleich auch den Einkauf erledigt.“ Und dein Partner (oder Partnerin) dreht sich langsam um, sieht dich nur an und fragt: „Warum hast du nicht auch gleich den Müll mitgenommen?“

Spürst du es? Dieses Ziehen in deinem Nacken, das brennend flaue Gefühl in deiner Magengegend? Du weißt, dass es jetzt vollkommen egal ist, was du sagen kannst – der/die will nicht im Geringsten wissen, warum du den Müll nicht mitgenommen hast. Der/die will dir eine reinwürgen – aber so richtig. Dass du den Müll vergessen hast, ist vollkommen offensichtlich. Und das wird auch das Thema deiner Strafrede sein, die du dir anhören kannst. Das „Warum“ wird hier nur dazu benutzt, dich klein zu machen, deine Deckung einzureißen. Es ist nicht wichtig, dass du dich ohnehin schon schämst und es dir peinlich ist, dass du das vergessen hast – nein – man möchte auch noch gerne drauf herumtrampeln. Und damit der verbale Dolch so richtig fein zwischen deine Rippen fährt, wird das „Warum“ vorangeschickt.

Frage dein Gegenüber nach „Warum“, wenn du eine Sache nicht machen möchtest, die diese Person sich vorstellt. Frage wiederholt „Warum?“ Und „Warum?“ – bis sie entnervt aufgibt. Das enthebt dich, eine klare Stellung zu beziehen. Du musst nicht sagen, dass du eigentlich keinen Bock auf dieses oder jenes hast. „Warum“ gaukelt in diesem Falle vor, dass du gerne mehr wissen möchtest, lässt dich also auf der Seite des Neugierigen sein, während dein eigentliches Ziel, den anderen zu enervieren, immer näher rückt.

Und dann kannst du noch hergehen und mit dem Brustton der Überzeugung behaupten, dass du ja nur wissen wolltest … um auch da im Recht zu bleiben. Letztlich kann dir das „Warum“ helfen, so manche Feigheit oder Psychose zu verbergen – wenn du sonst keinen anderen Ausweg weißt. Nur ja nicht wahrhaftig Stellung beziehen. Herrlich, wie man Menschen mit nur einem Wort in die Rechtfertigung und Verteidigung zwingen kann.
Dieses unscheinbare Wort hat die Macht, jede Konversation zu verlängern oder abrupt zu beenden, sie zu vertiefen oder völlig zu zerstören.
Also, beim nächsten Mal, wenn du dich in einer endlosen, langweiligen Unterhaltung wiederfindest, erinnere dich an die Kraft des „Warum?“. Setz es geschickt ein und beobachte, wie sich das Gespräch entweder in tiefe Gewässer bewegt oder wie von Geisterhand verschwindet. Und genieße den Moment der absoluten Stille, der darauf folgt.

Das bedeutet nicht, das Warum – oder seine Geschwistern „Weshalb“ und „Wieso“ – eine böse Frage ist, ganz und gar nicht, es liegt nur besonders viel Kraft in solchen einfachen Dingen. Aber es wird gerne dazu benutzt um andere auszuhebeln, sie zum Schweigen zu bringen oder klein zu halten. Und natürlich – was ihr eigentlicher Sinn ist – für genau das Gegenteil. Es gibt ganz besonders gute Warum fragen.

Es ist wie so oft: Etwas Gutes kann bis zur Bedeutungslosigkeit missbraucht werden und fordert deshalb unsere Achtsamkeit. Wir können unsere Sprache, einer Waffe gleich, mit Worten laden und Seelen damit töten – oder dieselben Worte wie Balsam und Pflaster verwenden.

Aber, Natürlich gibt es auch Fragen, die sind von Grund auf dumm. Ich stehe im untersten Geschoss der Tiefgarage am Lift und mein Nachbar kommt dazu: „Hey, fährst du nach oben?“ Nein, ich warte auf die uBahn!
Oder auch ein Klassiker: Du liegst auf der Couch und schnarchst. Deine Freundin stupst dich an und fragt: „Schläfst du?“ Nein, ich meditiere über die Bedeutung des Lebens mit geschlossenen Augen und mähe dabei den Rasen!
Dich schüttelt es vor Kälte, und du wirst gefragt, ob dir kalt ist. Bei 37 Grad tappst du matt herum: „Ist dir warm?“ Du läufst vor einem Hund davon: „Hast du Angst vor Hunden?“ Weinst du, lachst du – bist du traurig? Was sollen solche Fragen, soferne die Antwort doch offensichtlich ist?

Ich verstehe, man will reden, aber dann stell doch bitte nicht solche Dummschwatzfragen, die mich an deiner Grundintelligenz zweifeln lassen. Frag mich lieber: „Wie geht es dir?“ Frag mich: „Warum fährst du mit dem Lift?“ oder: „Findest du mich so uninteressant, dass du auf meiner Couch eingeschlafen bist?“ Dann habe ich die Chance, dir ehrlich zu antworten: „Schlecht“, „zu faul“ oder „Ja“.
Intentionen, liebe Leute, Intentionen – deine Fragen verraten letzlich, wer du wirklich bist! Sie zeigen, was du tatsächlich willst, sie verraten dich hinterrücks und lassen dir keine Chance auf Entkommen.

„Wie geht es dir?“ und „Warum“ sind Säulen der Konversation und die Spiegel deiner Seele, ja der Gesellschaft, mit der du dich umgibst.
Also wähle weise und stelle keine Fragen, deren Antwort dich nicht wirklich interessiert.

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