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Der Anruf den ich machen soll, ist mir unangenehm. Sehr sogar, denn ich muss um etwas bitten.
Um etwas Zeit zu gewinnen, inneren Anlauf zu nehmen, rabarbere ich den Anruf in Gedanken immer wieder durch, während ich meine Wäsche mache. Danach putze ich noch meine Küche, immer wieder, nervös und unangenehm berührt, auf die Uhr schielend. Kurz vor dem Mittag, fällt mir ein, das ich meinen Müll auch schon länger nicht mehr runter gebracht habe – das muss aber noch!
Erleichtert stelle ich hernach fest, das es jetzt ohnehin nicht mehr geht, denn der/die/das ich anrufen sollte, ist ab Mittag nicht mehr da. Also Morgen.
Tatsächlich fühlt es sich für viele Menschen wie eine Erleichterung an, wenn man unangenehme Dinge bis zur Unmöglichkeit vertrödelt, nur um sie „nicht jetzt“ machen zu müssen.
Dafür lässt er/sie sich nur allzu gerne ablenken. Willkommen sind lästige Whatsapp, Tiktok oder Instagram chat, die Freundin würde gerne eine Kaffee trinken gehen? Noch besser jemand braucht meine Hilfe und ich muss sofort los.
Sollten keine dieser Ablenkungen zur Verfügung stehen tut solch ein Mensch seltsamerweise stattdessen andere Dinge, die ihm ansonsten unangenehm sind. In meinem Fall könnte das Wäsche, Staubsaugen oder Küche putzen sein – was ich leidlich gerne verschiebe.
Am Ende hat man fast ein gutes Gewissen, denn man hat ja was gemacht und ein leichtes Erfolgsgefühl, was das schlechte Gewissen, wegen dem versäumten Anruf nahezu aufwiegt.
Der Gedanke, das man das morgen aber machen muss und dies eventuell noch unangenehmer ist, weil eine gesetzte Frist schon fast abgelaufen ist, wird die nächsten paar Stunden weggeschoben.
Erst abends, wenn man sich das nächste Mal erinnert, steigt einem diese kochend heiße Gefühl hoch und die Furcht vor dem Anruf, das verzweifelte Gefühl es nicht machen, sich nicht kümmern zu wollen, ist wieder da. So schlägt man sich dann auch noch die ganze Nacht um die Ohren, nur um ja die zeit hinaus zu zögern, die man noch hat, vor diesem Anruf. Einschlafen und dann aufzuwachen, nein, das geht viel zu schnell.
Ich habe online ein paar liebe Kollegen befragt, ob sie mir nicht Beispiele zur Prokrastination liefern könnten, also Erlebnisse, deren Ursprung das Verschieben war. Es gab ein paar wirklich liebe Antworten, die wichtigste jedoch, möchte ich euch nicht vorenthalten.
Es war eine Frage:
„Prokrastinierst Du gerade?“
Ich habe das nicht gleich verstanden.
Aber habe dann erkannt, ja, ich verschiebe es auch über dieses Thema zu schreiben, weshalb ich andere um deren Erlebnisse bat.
Warum?
Weil ich einer der größten und Besten Prokrastinierer auf Gottes Erdboden war.
Und es mir unangenehm ist, das zuzugeben. Ich war so gut darin, das andere oft nicht einmal bemerkten, das ich bloß Verschiebe, ich habe mich so geschickt aus den dingen herausgeredet, das viele sich mir gegenüber schuldig fühlten und mich, der ich in meinem Selbstmitleid schwamm, auch noch getröstet haben, weil ich wieder einmal etwas nicht geschafft habe. Gesegnet sind die, die Eltern, Freunde oder Kollegen haben, die – wenn es drauf ankommt, einen bei der Hand nehmen und mit großer Energie alles daransetzen, dir zu helfen, deine Deadline, Aufgabe oder Wünsche noch zu erreichen. Das sind wahre Engel, weil sie über deine Mängel hinwegsehen können und nur die Not bemerken, in der du gerade bist. Und solchen Engeln begegnet man nicht all zu oft.
Studenten haben meist fast ein Schuljahr dafür, ihre Abschlussarbeiten zu schreiben. Das sind 6 – 8 Monate. Manche haben schon nach 2 Monaten alles fertig, manche 2 Monate vor der Deadline und manche 2 Wochen davor noch nicht einmal ein Konzept. Tausenderlei andere Dinge waren wichtiger, das Treffen hier, der Verein da, die Freundin dort und diese eine Reise. Am Ende – wenn man dieses Glück hat – sitzt die ganze Familie zusammen, sortiert Bilder, beschriftet, katalogisiert und liest Korrektur. Am Ende wird die Arbeit auf den letzten Drücker abgegeben, für gut befunden und der/die Studentin braucht erstmal eine Pause. Denn solch ein Vorgehen kostet unglaubliche Mengen Energie. Über die nach Luft röchelnde Familie wollen wir lieber schweigen.
Was treibt Menschen an alles Unangenehme vor sich herzuschieben? Und was ist denn das Unangenehme eigentlich?
Hier kann ich nur aus der Erfahrung meiner Jahre sprechen.
Einen Prokrastinatoren erkennt man recht einfach. Er/sie ist schlampig. Unordentlich. Unorganisiert und mit recht wenig Selbstdisziplin.
Was aber im krassen Gegensatz zu dem zur Schau gestellten Perfektionismus ist, wenn es um Projekte, Ziele oder Vorgaben geht, die der oder die Porkrastinator_in erfüllen soll oder gerne möchte.
Aufräumen zum Beispiel ist etwas, was sie am allerliebsten verschieben, das ist einfach und bricht keinem ein Bein. Es sei denn, sie sollen etwas tun, was noch unangenehmer ist. Oder es kommt Besuch. Dann wird aufgeräumt, das der Dreck nur so fliegt.
Um auf mein Beispiel am Anfang zurück zu kommen: Ich habe lieber stundenlang meine Wohnung geputzt, als ein 5 minütiges unangenehmes Telefonat zu führen. Weil ich Angst hatte – Angst davor, als etwas erkannt zu werden, als das ich mich selbst nicht sehen wollte. Angst, ein Nein zu hören, Angst nicht gut genug zu sein, Angst vor dem Versagen – kurz, eine ziemlich kleines Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen hatte. Weshalb ich mich dann hinter unerreichbaren Perfektionismus versteckte, einem weiteren totsicheren Hinweis auf Prokrastination und eine weitere perfekte Ausrede für ein eventuelles, im Voraus befürchtetes, Versagen.
Ich spreche hier natürlich nicht mehr vom zeitweiligen Trödeln, ich spreche hier von Energielosigkeit, Depression und dem Unwillen, sich um etwas kümmern zu müssen.
Was nun unangenehm ist und was nicht, kann nicht so einfach gesagt werden, das hängt sehr davon ab, wie weit sich dieser Mensch schon mit seiner Verschieberitis arrangiert hat.
Ganz am Anfang sind es oft nur Kleinigkeiten und das beginnt schon, wenn man selbst noch sehr jung ist. Denn Prokrastination entsteht aus mangelndem Selbstwert, den man sich eigentlich in jüngsten Jahren aneignet. In vielen Fällen kommt es nur manchmal vor .. in bestimmten Situationen.
In anderen Fällen ist es stärker ausgeprägt. Je nachdem, welche Selbstwertprägung man schon als kleiner Mensch erfahren hat.
Ich war ein Mobbing Opfer, wurde in meiner Schulzeit verprügelt, verspottet und zum Narren gemacht.
Oft sogar von Menschen, denen man zuvor sehr vertraut hat.
Ich war nicht gut genug, nicht schlau genug, nicht schnell oder logisch oder eben ordentlich genug. Es gab leider so ziemlich nichts, was mir Lob und Anerkennung eingebracht hätte.
So beginnt man vielleicht die Schule zu verschieben – äh – zu schwänzen. Krankheiten zu simulieren, bis man tatsächlich krank ist. Man beginnt Dinge zu vergessen, weil man sich in Gedankenwelten verliert und die grausame Wirklichkeit verdrängt. Damals waren es die Bücher von Karl May für mich. Lesen war meine Flucht.
Wehe man hätte mich damals gezwungen, auf meine reisen durchs wilde Kurdistan oder die Wüste zu verzichten oder auf meinen Ritt auf Hatatidla durch die Teton Range der Rocky Mountains! Wenn mich jemand davon abgehalten hätte, mich dem bösen Schut zu stellen oder Santer quer durch alle Prairien zu jagen, ich hätte mit Ablehnung, heftigen Argumenten und Protest geantwortet und Strafen dafür riskiert. Niemand hat erkannt, warum ich wirklich las, die Bücher regelrecht verschlang, im Gegenteil, dafür wurde ich gelobt. So habe ich begonnen, alles an Literatur und Zeitschriften zu fressen, welcher ich habhaft werden konnte. Und mein Vater hatte immer schon viele Bücher, vor allem Dokumentationen und eben Karl May.
Ich habe so, schon relativ früh, recht viel Wissen angehäuft, was ein weiterer Motor des Mobbings an mir war. Nerd, Streber, Besserwisser …
Der heutige junge Mensch greift eher zu Games auf Handy und Tablet denn zu Büchern oder saugt sich an TV Serien fest, aber die Gründe dafür sind absolut die selben. Flucht und Verdrängung.
Meine Vergesslichkeit war lange Zeit eine meiner zuverlässigsten Begleiterinnen, die für reichlich peinliche Momente gesorgt hat. Aber: sie war auch meine beste Ausrede, Vergessen ist schließlich menschlich und macht man ja nicht absichtlich. Dachte ich.
Im Laufe der Zeit wird dann Alles unangenehm, zunächst die Dinge, von denen man glaubt, das man sie nicht gut kann. Man wird lieber ein faules vergessliches Aas geschimpft, weil man das ohnehin von sich selber glaubt, als sich wieder und wieder die Demütigung zu holen, das man dieses oder auch jenes wieder einmal nicht gut genug gemacht hat.
Denn geschimpft wurde ich ohnehin, so konnte ich mir wenigstens aussuchen, wofür ich geschimpft wurde.
Wenn ich an meine Kindheit denke, dann erinnere ich mich nur an einen Jungen, der Angst hatte. Angst vor anderen Kindern, ja, seinen eigenen Geschwistern, Angst davor als schwach zu gelten, Angst davor, verprügelt zu werden, Angst vor Spott und Demütigung und Denunziation.
Wie man mit seinen Ängsten umgeht, sind die Entscheidungen, die definieren, was man wird. Ich habe mich entschieden, Wissen und Logik aufzubauen und kindisch zu sein. Dieses tiefe Bedürfniss, andere zu unterhalten, sie zu amüsieren und vllt zum lachen zu bringen ist mir heute noch zu eigen. In Wahrheit?
In Wahrheit fürchtete ich damals, das man den kleinen, einsam weinenden Jungen sieht, der tief in meiner Brust lebte. Mein kindisches Gehabe und mein Nerdie Dasein, haben sehr erfolgreich davon abgelenkt.
Da unser Gehirn ein ganz schlauer ist und gelernt hat, wie oft man mit Verschieberei durchgekommen ist, legt man dieses Wissen irgendwann einmal auf alles um, das in irgendeiner Form unangenehm sein KÖNNTE und einen MÖGLICHERWEISE aus der Traumwelt reißt, in der man sich so sicher fühlt. Dann werden auch ganz alltägliche Dinge wie Einkaufen, Haushalt, ja oft sogar eine Beziehung zu führen, unangenehm empfunden und daher vermieden. Ein ziemlich pathologischer Befund.
So manifestiert sich das über die Jahre, man wird zu einem Meister der Vermeidung, bis man am ende sogar Menschen vermeidet und zum Misanthropen wird, der jeden Glauben an Menschheit und Freundschaft verloren hat. Vermeidung wird zur Lebensstrategie. Alles, nahezu alles, das getan werden soll, wird Belastung, egal was es ist – wenn ein soll oder muss dranhängt, löst es sofort Unwillen aus. Überforderung.
Es sei denn, es ist die neue Idee, das neue Projekt.
Diese Ideen und Projekte waren nie etwas anderes als Attentate des kleinen phantasiereichen Jungen in mir, der versuchte die engen Fesseln des Versagens zu sprengen. Und was das für Ideen waren, jede einzelne Gold wert, klug überlegt und durchaus machbare Projekte waren das – der kleine Bub in mir war ein echter Ideen Jäger, der es immer schaffte, mich anzuzünden, mich brennen zu lassen für etwas. Das hat sich gut angefühlt, er hat sich gut angefühlt – und ich hab meine Ideen hinausposaunt und zugesehen, wie manche mir, wegen meines Geltungsbewusstseins, gestohlen wurden, von anderen verwirklicht wurden und erfolgreich waren.
Aber meistens war ich selbst mein Saboteur. Denn irgendwann kommt ein Punkt, an dem man zu seiner Idee stehen muss, etwas anpacken und zeigen muss. Der Punkt, an dem mein ICH die Idee übernehmen muss, um sie aus der Theorie zu holen.
Und ich habe sie dann in Perfektionismus verkleideten Ausreden erstickt. Eine nach der Anderen.
Weshalb? Weil ich mich von den Zweifeln meiner Umgebung anstecken lies und an mir selbst zu zweifeln begann. Es muss ja was dran sein, wenn ältere und erfahrenere Menschen an mir zweifeln.
Wer weiß ob das gut geht.
Red nicht, mach es.
Mal schauen ob du diesmal was erreichst.
Ach wer weiß, Du und deine Ideen.
Und so hab ich es versenkt, stand vor dem Tor, musste nur noch den Ball rein treten und schoss absichtlich vorbei – nicht perfekt genug.
Ich glaubte lange zeit meines Lebens ein Feigling zu sein, selbst die Schuld daran zu tragen, wenn andere mich verdroschen haben. Ich habe mir die Schuld daran gegeben, wenn man mich als Nerd beschimpfte, wenn man mich mit meinem Namen provozierte, wenn man mich trat, schlug und quälte.
Und über allem stand flehentlich der Feigling, der sich nicht getraute, sich zu wehren oder jemanden zu sagen, was die Wahrheit ist. Ich glaubte, das mir niemand glauben würde und so hat mir auch niemand geglaubt.
Also habe ich nichts mehr gesagt und in der Schule buchstäblich fürchterliches erduldet – ich hatte es auf eine schräge und seltsame Weise ja verdient, denn es musste ja ich sein, der etwas falsch macht, der irgendwie zu blöd war um in diese Gesellschaft zu passen. Ich konnte ja niemandem sonst die Schuld daran geben, als mir. Denn egal wohin ich ging, es war überall und in jedem Umfeld immer dasselbe.
Und so habe ich angefangen, mich Selbst zu Vermeiden. Mein innerstes, meinen Schmerz. Ich habe mich in Logik und Wissen vergraben, mich gleichsam damit bedeckt, wie mit einer schützenden Rüstung.
Ich habe es letztlich Vermeiden geliebt zu werden und verhinderte damit den Schmerz wieder verletzt zu werden.
Freundschaften vermeiden verhinderte andere zu enttäuschen.
Erfolg vermeiden verhinderte Zweifel.
Sich selbst vermeiden verhinderte den Ekel vor der Fratze, die einem morgens aus dem Spiegel anschaut.
Ich kreierte ein Narrativ meiner Selbst. Eine Erzählung jemandes, der ich gerne wäre. Ich weiß, ich habe es oft sehr überzeugend dargestellt. Aber das kostet Kraft und Energie. Die irgendwann einmal nicht mehr ausreicht, worauf das narrativ zusammenbrechen muss. Und dann wird man durchschaut, dann reicht auch Liebe nicht mehr, dann bleibt oft nur Scham und der müde Versuch, sich in Erklärungen zu verlieren um wenigstens ein wenig das Gesicht zu wahren.
Ich habe viele Menschen enttäuscht.
Und ich habe im Stillen meine unendlich laufenden salzigen Tränen geweint, weil ich wieder jemanden, der an mich geglaubt hat, eingewoben in meine kultiviert raffinierten Worte, ins Kreuzfeuer meines inneren Krieges gezogen habe. Und auf dem Schlachtfeld meiner inneren Krawalle sterben lies.
Ich habe viele Menschen in meinem Leben verloren damit. Meine eigene Erzählung aufrechterhaltend, den Helden des Dramas weiter schreiten lassend, habe ich so getan, als würde mich der Verlust nicht kratzen – über den Dingen stehend, ein Held eben, der am stärksten alleine ist. Aber ich sage euch, ich habe es jedes mal wie eine Erderschütterung gespürt, ein Beben der Seele, ein trotziges Aufbegehren meines inneren weggesperrten Jungen.
Bis letztlich meine erfundene Geschichte auch vor meinem eigenen Spiegel zerbrach und mich in dunkelste Abgründe warf. Die darauf folgende Einsamkeit war eine lange, schmerzhaft und tränenreich aber heilend; ich habe endlich Kräfte und Dinge in mir entdeckt, derer ich vordem nicht bewusst war.
Das waren verschiedene Versionen von dem, das ich mir für mich erträumt habe, aber anders, als ich sie erwartet habe. Einfacher, viel tiefer und klarer, als in meiner Vorstellung.
Zeit. Zum ersten Mal in meinem leben habe ich Zeit mit mir selbst und meinen Träumen verbracht. Zeit ist in diesen Jahren das wichtigste für meine Heilung gewesen.
Nicht Zeit mit meinen Fassaden, meinen Zweifeln die nicht meine eigenen waren, nicht zeit damit zu verschwenden ein Bild von mir aufrechtzuerhalten – sondern zeit einfach nur ich zu sein war ein unendlicher Luxus, den ich mir plötzlich erlauben konnte.
Ich behaupte nicht, das es leicht war, diese Einsamkeit durchzustehen, aber am Ende ist es ganz einfach gewesen.
Ich musste nur lernen, wer ich wirklich bin – nämlich das, was ich sein möchte, von ganzem Herzen.
Ich frage mich gerade, warum ich das hier überhaupt schreibe. Was recht witzig begann ist nun eine Präsentation meines inneren geworden, eine Aufarbeitung vielleicht oder ein weinerliches Pamphlet, das evtl. im Mistkübel auf meinem Bildschirm landen wird.
Denn das alles bin ich heute nicht mehr, es ist nur noch eine manchmal schmerzliche Erinnerung.
Eine Satire sollte es werden und nun breite ich mich aus und erzähle doch von mir.
Ich bin irgendwie gar nicht in der Lage, mich über Prokrastinatoren lustig zu machen, denn das hieße, mich über mich selbst und meine Vergangenheit lustig zu machen und obwohl ich das gerne möchte – um zu zeigen ich bin drüber weg – der Held eben; das lässt der emotionale Zustand, den das Thema während des Schreibens grade erzeugt, nicht zu.
So sehr ich mir wünsche, euch zu unterhalten, euch zum lachen zu bringen, so sehr wünsche ich mir auch, das ihr versteht.
Die wichtigste Lektion dieser Jahre und in meinem Leben war:
Letztlich geht es immer – nur um einen Selbst.
Ja, genau, dieses verhasste kleine Jungen ich, da ganz tief hinten in der Seelenhöhle. Das bin ich, das war ich immer und ich werde es immer sein.
Schritt für Schritt lies ich ihn heraus, ich habe vorsichtig mal den einen, dann den anderen Zeh nach vorn gestellt, um die Welt in der ich lebe, mit neuen Augen zu entdecken.
Und so hab ich mich langsam nach vor gewagt, an den Rand des Nestes und zum ersten mal wirklich in die Tiefe und zum Horizont geschaut. Die erstaunten blauen Augen des Thomas haben Details entdeckt, die er nie für möglich gehalten hat.
Und so hat der kleine Junge, der, von meinem Verstand verurteilt, 50 Jahre unschuldig in der staubigen Höhle meines Narrativs verbringen musste, das erste mal gewagt, seine Flügel auszubreiten und sich in die Tiefe fallen zu lassen.
Muri Darida schreibt auf Zeit.de einen Brief an den inneren Schweinehund.
Komm raus! Du Hund! Du Sau! Tief drinnen verschanzt du dich, zwischen mühseligen Vorsätzen und auswendig gelernten Phrasen über Stressbewältigung. Was hast du da verloren? Du bist wie schlechter Besuch! Du frisst Zeit und Energie, nistest dich da ein, wo ich allein sein möchte und bist mir vor meinem Umfeld peinlich. Einer dieser Fälle, über den Freunde sagen: „Ja, dann schmeiß ihn doch raus, wenn er dich stört!“ Also gut, ich raffe mich auf. Wir müssen reden.
Schweinehund, mit uns beiden klappt es nicht. Such dir ein anderes Frauchen. Ich weiß dank dir, was ich ohne dich sein könnte. Eine ausgeschlafene Studentin kurz vor der Bachelorarbeit, die weder Zigaretten noch Ausreden braucht. Ich würde Texte vorbereiten, die mich interessieren und Texte mutig ignorieren, in denen ich keinen Sinn sehe. Ich könnte programmieren. Und ich könnte endlich auf den Konjunktiv verzichten. Könnte, täte, hätte wäre …
Schweinehund, hier geht es um noch viel mehr. Ich möchte keine arbeitsmarktoptimierte Super-Bildungsbürgerin werden. Dass du mir mit deinem dicken Popo die eine oder andere Note nach unten drückst, stört mich nicht. Faul sein ist wunderbar. Faul sein, weil man Angst hat, ist entsetzlich. Du verniedlichst die Angst vor dem Versagen.
Die größten Prokrastinierer sind die größten Perfektionisten. Wir schieben nichts nach hinten, weil wir keine Lust haben. Wir vertagen Arbeitsaufwand, um uns hinterher ein Bier aufzumachen, betont lässig mit den Schultern zu zucken und zu sagen: „Eine 2,5? Ich hab drei Tage vorher angefangen, läuft!“ Unsere Freunde finden das cool. Wow, 2,5 ist total okay und dann ist die auch noch so entspannt. Und du, Schweinehund, prostest uns zu und kratzt dir den borstigen Bauch. Was bleibt, sind ein angenehmer Kater und das unangenehme Gefühl, es eigentlich besser gekonnt, aber gar nicht erst versucht zu haben. Weil ich ja versagen könnte.
Du spielst dich als Rechtfertigung für mein persönliches Scheitern auf. Damit vermiest du mir die Erfolge. Pack dein Beutelchen voller Schuldgefühle und mach die Tür von hinten zu!
Frau Darida hat mir damit sehr aus dem Herzen gesprochen.
Liebe Prokrastinatoren und Innen. Hört auf euch in Ausreden zu wälzen, eure Erfolge klein zu machen und mit Durchschnitt zufrieden zu sein. Jagt ihn aus, den Schweinehund, den inneren Monolog mit dem ihr euch euer Scheitern, eure graue Erlebniswelt zurecht schneidert und passend angenehm macht.
Hört auf darauf zu warten, das die Welt sich für euch verändert, das wird nie geschehen. Die zeit vergeht so oder so, der Welt ist egal ob Du glücklich bist oder nicht. Wenn Du eine Änderung Deiner Umstände willst, muss Du Dich verändern. Sonst wirst du einfach verschwinden mit der Zeit – so, wie alle anderen.
Gebt endlich zu, das ihr euch selbst schadet, selbst leidet und nur versucht, eure Umwelt so zu manipulieren, das sie Mitleid hat mit euch. Man würde ja gerne Anteil nehmen, aber das Bild, das ihr den Menschen von euch zeichnet, ist nicht echt, eine peinlich bröckelige Fassade, die ihr doch nicht lange aufrecht erhalten könnt. Man durchschaut es allzuschnell.
Ihr seid die liebenswertesten Lügner der Welt, man möchte euch umarmen, an der Hand nehmen, begleiten, beschützen und knuddeln und manchmal möchte man euch einfach auf den Mond schießen..
Wir haben euch gern, ihr seht es nur nicht und, wir wissen, das ihr Lügner seid – wir wissen es jedes Mal – wir sind nur zu liebenswürdig euch zu sagen: Ich durchschaue dich und weiß, das Du Dich nur wieder raus redest.
Die einzigen die ihr noch anlügen könnt, die euch unbedingt glauben wollen, seid ihr selbst.
Andrea’s Podcast – Im Gespräch mit DeaStern: https://open.spotify.com/show/0Th5KZzyWBrKL6FNkas5rh?si=ecedaec95417423c