Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
22. August 2025

Brot, Spiele, Schnauze halten – Ihr seid überflüssig

Ein satirisches Coverbild im realistisch-grotesken Stil. Im Vordergrund steht ein überheblicher Manager im Anzug, der einem gefesselten, apathischen Publikum Brot und Bier wie Tierfutter austeilt. Hinter den Menschen laufen übergroße Fernseher mit Programmen wie Dschungelcamp, Sport und billigen Shows. Oben prangt der Titel „BROT, SPIELE, SCHNAUZE HALTEN“ in großen gesperrten Buchstaben, darunter der Untertitel „IHR SEID ÜBERFLÜSSIG“ in kleinerer, ebenfalls gesperrter Schrift. Das Bild wirkt plakativ, kontrastreich und bitter-satirisch.

Diese Folge des Schalltrichters seziert mit chirurgischer Schärfe, wie Politik und Wirtschaft eine neue Form des Sklaventums installieren – getarnt als Eigenverantwortung und Arbeitsmoral. Der Ton: bitter, beißend, brillant. Der Subtext: eine Einladung zum Aufwachen.

Heute mache ich etwas, was ich sonst nur sehr selten tue: Ich greife auf einen Text zurück, der nicht aus meiner eigenen Feder stammt. Zwar habe ich ihn ein wenig überarbeitet, aber die ursprüngliche Idee, die Tonlage und die Richtung stammen nicht von mir.

Christoph Sieber hat in seinem Kabarettprogramm „Das gönn ich euch“ bereits 2012 eine herrlich zynische Passage vorgestellt. Damals war das ein satirischer Blick in die Gesellschaft – heute, 13 Jahre später, ist es beinahe eine Dokumentation der Gegenwart. Die Wirklichkeit hat seine Satire nicht nur bestätigt, sondern sogar übertroffen.

Und genau deswegen möchte ich diesen Text – oder besser gesagt: meine Überarbeitung – heute hier mit euch teilen. Denn er zeigt uns, wie würdelos Politik und Wirtschaft immer wieder über die Bedürfnisse von Menschen hinwegsehen. Er zeigt, wie ein neues Sklaventum entstehen soll – hübsch verpackt in Parolen von Vaterlandsliebe, Loyalität und „Leistung muss sich lohnen“.

Gute Unterhaltung!

Schönen guten Abend, meine sehr verhörten Damen und Herren.
Ich darf Sie alle zum vom Arbeitsmarktservice befohlenen Vorstellungstermin für die schon längst besetzte Stelle in unserer Firma recht herzlich begrüßen.

Wie schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Ja, ja – wenn man auf Arbeitssuche ist, klammert man sich an jeden Strohhalm. Und seien wir ehrlich: Für viele von Ihnen ist dieser Strohhalm längst schon ein morscher Ast. Ich nehme es Ihnen nicht übel, ich würde es ja genauso machen – wenn ich in Ihrer Lage wäre. Also: niemals.

Und glauben Sie mir: Mich widert es genauso an, dieses Treffen zu moderieren, wie es sie anwidert, hier sein zu müssen. Es ist wie ein Arztbesuch im Wartezimmer – man weiß, man muss hinein, aber man riecht schon auf dem Flur, dass es nicht gesund werden kann. Für mich ist das hier kein Massen-Vorstellungsgespräch, sondern eine Art Strafarbeit. Ich hoffe, Sie wissen es wenigstens zu würdigen, dass ich meine wertvolle Zeit opfere, um Ihr kollektives Scheitern in Empfang zu nehmen.

Ihre Bewerbungsunterlagen habe ich sehr eingehend kurz überflogen.
Das war ein Erlebnis, sage ich Ihnen – aufregend wie der Wetterbericht von gestern.
Nicht einmal mit Word können Sie richtig umgehen. Und Schule? Nun, da müssen wir gar nicht drum herumreden – das war nie Ihre Stärke. Da sind wir uns ja wenigstens einig. Selbst wenn Sie schon älter sind: Volksschule alleine reicht heute einfach nicht mehr.

Aber keine Sorge, heute Abend fällt das gar nicht auf – Sie sitzen ja unter Ihresgleichen. Das hat auch was, nicht wahr? Eine Art Klassentreffen der Chancenlosen.

Fräulein Schneider – Sie sind jung geblieben, nicht wahr? Und wenn man jung geblieben ist, dann hat man noch Träume. Halten Sie ruhig daran fest, träumen Sie weiter! Träumen kostet nichts, das kann Ihnen keiner nehmen. Außer vielleicht der Wecker am nächsten Morgen früh – aber der klingelt bei Ihnen ja eher selten.

Und Herr Braun! Schön, dass Sie auch wieder da sind. Sie haben’s verstanden: Dabei sein ist alles. Wobei – vergessen Sie’s! Das Vergessen, das beherrschen Sie ja ohnehin. Nicht?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, einigen von Ihnen ist nicht bewusst, dass Sie sich hier bei einem Spitzenunternehmen beworben haben. Ein Spitzenunternehmen, das auch Spitzen-Mitarbeiterinnen und Spitzen-Mitarbeiter fordert. Und da bin ich mir, ganz ehrlich gesagt, nicht sicher, ob ich Sie dazuzählen soll. Oder um es noch ehrlicher zu sagen: Ich bin mir sehr sicher, dass nicht.

Sie da! Ja, Sie mit dem Blick wie ein Reh im Scheinwerfer. Was sagen Sie zur Diskussion über die Einführung von Ertragssteuern aus Devisengewinnen?
… Aha. Guten Morgen! Auch schon aufgewacht? Keine Sorge, den Stress einer tatsächlichen Anstellung bei uns haben wir Ihnen vorsichtshalber erspart. Bei Ihrem Temperament würden ja selbst die Fliegen am Bürofenster ins Koma fallen.

Aber immerhin – schauen Sie! Die Dame neben Ihnen lacht! Das ist doch schön. Endlich mal jemand, der weiß, wie man Unterhaltung buchstabiert: U-N-T-E-R-N-I-C-H-T-S.
Ne?

So, ich komme mal ein bisschen näher, mal sehen, wen Sie mir heute Abend wieder hier reingesetzt haben. Ah, das freut mich doch – Ja, das sieht nach Kompetenz aus.
Also, kleine Probe gefällig: 360 geteilt durch 5? Na?
Vielen Dank, das war’s dann auch schon bei Ihnen.

Aber lachen Sie doch nicht – er hat’s immerhin probiert! Man konnte es ganz genau sehen: Da wurde der Kopf noch einmal richtig angeschmissen, auch wenn’s nichts geholfen hat. Bei Ihnen ist Kopfrechnen wie ein Motor ohne Benzin – er stottert, aber kommt nicht vom Fleck.

Und Sie da hinten!
Ja, genau Sie.
Was halten Sie von der inversen Korrelation der Nullzinsphase mit der realen Binneninflation?
… Nichts? Hervorragend, genau das habe ich erwartet. Dieselbe Antwort wie bei Ihrem letzten Bewerbungsgespräch: eine Nullnummer.

Und damit Sie nicht sagen können, es gäbe keine Erfolgserlebnisse: Letzte Aufgabe. Wie viele Buchstaben hat das Wort Chef?
Richtig – vier.
Und wie viele Chefs haben Sie?

Keinen! Jawoll!
Applaus für diese brillante Leistung.

Meine Damen und Herren, Sie sind ein Publikum! Sie wissen doch gar nicht, wo man durchbluten muss, wenn es ums Rechnen geht!
Mensch, Sie müssen sich schon ein bisschen anstrengen! Arbeitslosigkeit ist kein Freibrief zum Herumhocken. Da müssen Sie schon die Arschbacken ein bisschen zusammenklemmen!

Zeigen Sie Einsatz! Springen Sie mal auf die Bühne, schlagen Sie einen Flickflack, damit der Chef weiß, wie motiviert Sie sind! Glauben Sie mir: Nichts schreit mehr nach Einsatz als ein Bewerber, der wie ein Zirkusartist über die Teppichkante stolpert.

Gute Arbeit soll sich lohnen!

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Herrschaften! Sie konkurrieren nicht mehr mit den Rindviechern, die neben Ihnen sitzen. Das war früher einmal. Heute konkurrieren Sie mit Polen, Rumänen, Indern, Chinesen – hochqualifizierte Leute, sag ich ihnen! Viel besser als Sie. Die hätten längst schon den Flickflack hingelegt – auch wenn sie ihn gar nicht können. Aber sie hätten’s probiert! Und das zählt.

(Wendet sich halb ab, murmelt:) Wieder einmal das größte Elend da unten versammelt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie müssen die Arschbacken zusammenkneifen! Sie müssen die Zeichen der Zeit erkennen! Für die, die Arbeit haben, heißt es heute:
„Jawohl, Chef, ich bleibe abends länger. Wochenende kenne ich nicht, Familie habe ich keine mehr, und Urlaub brauche ich nicht! Mach ich sogar ohne Lohn!“

So müssen Sie reden! So müssen Sie denken! Die Zeichen der Zeit erkennen! Machen Sie sich unentbehrlich in der Firma!

Meinetwegen als Kleiderständer. Ja, warum nicht. Kann man ja mal machen.
Oder als Ventilator, als Aschenbecher, nein als Spucknapf.
Nämlich Sie müssen da so einiges schlucken – aber es lohnt sich!

Schauen Sie mich an! Man kommt ohne mich nicht mehr aus. Ich bin das Paradebeispiel. Ich bin der Leuchtturm im Ozean der Überflüssigen. Ich bin das Maskottchen der Leistungsgesellschaft. Und Sie? Sie sind bestenfalls die Fußnote in der Betriebsanleitung.

Aber das können Sie alles doch gar nicht verstehen.
Sie – die Befreiten. Befreit von der Last des Arbeitens. Befreit vom Druck, ewig der Erste und Beste sein zu müssen. Manchmal beneide ich Sie. Wirklich.

Darf ich Ihnen etwas sagen, ganz unter uns?
Wir brauchen Sie gar nicht mehr.

Jetzt gucken Sie nicht so betröppelt – Sie wussten es doch längst! Sie sind nicht nur arbeitslos.
Sie sind überflüssig. Schon längst ersetzt worden überflüssig.

Aber wir sind ja nicht herzlos. Nein, wir sind großzügig. Wir machen Ihnen ein Angebot: 432 Euro pro Monat. Sozialgeld. Und dafür halten Sie die Klappe. Ein staatlich subventioniertes Schweigegeld.
Es ist nicht dafür gedacht, dass Sie leben können – sondern dass Sie die Klappe halten.

Ein fairer Tausch: Sie bekommen 432 Euro, wir bekommen Ruhe von Ihnen. Und glauben Sie mir: diese Ruhe ist uns deutlich mehr wert als Ihre Arbeit.

Denn stellen Sie sich vor, Sie würden anfangen zu reden – vielleicht sogar die braven, folgsamen Arbeiter aufwiegeln. Nein, das können wir nicht zulassen. Keine sozialen Unruhen, kein böses Gerede am Fließband. Wir wollen folgsame Arbeiter, keine Mitdenker.

Und außerdem – ab einem gewissen Alter sind Sie sowieso ein Risiko-Investment. Da rechnet sich nichts mehr. Da zahlen wir Ihnen lieber das Notwendigste, damit Sie leise bleiben, als dass wir ernsthaft noch in Sie investieren müssten. Seien Sie dankbar: Ihr Schweigen ist auf Dauer billiger als Ihre Gesundheit.

Und falls Sie doch die Klappe aufmachen – bitte, gerne. Dann mittags im Fernsehen, wo Sie mit Ihresgleichen vor der Kamera herumproleten können. Kein Problem, da dürfen Sie alles rauslassen. Aber dann nehmen wir Ihnen alles wieder weg.
Nur den Fernseher nicht. Den lassen wir Ihnen. Versprochen – egal, wie groß er ist.

Natürlich läuft darin nichts, was Ihren Alltag in irgendeiner Weise stören könnte. Wir sorgen schon dafür, dass nur das Relevante fehlt.
Stattdessen bekommen Sie ein Vollprogramm der Beruhigung: Dschungelcamp, Bachelor, „Villa der Versuchung“. Dazu Promi-News von Leuten, die Sie gar nicht kennen, die nichts können, und die dafür mehr verdienen, als Sie in fünf Leben versaufen könnten.
Und das Beste daran: Sie schauen zu. Sie schauen immer nur zu. Denn Volksverblödung heißt nicht umsonst so – sie funktioniert. Es lenkt Sie ab, es lullt Sie ein, es macht Sie schläfrig und hält Sie ruhig. Sie sehen Menschen im Fernsehen, die sich gegenseitig anschreien, ankreischen, anbaggern – und denken: „Na gut, so schlimm ist mein Leben ja doch nicht.“
Wer will denn schon Nachrichten, Aufdeckerjournalismus oder Korruptions-News – das würde nur unsere Arbeit behindern. Das wussten schon die Römer, wie das geht.
Und wir halten den Alkohol im Discounter schön billig. So können Sie sich zuverlässig einmal die Woche die Hucke zusaufen – und am nächsten Morgen sind Sie wieder brav beschäftigt: mit Ihrem Kater und der hundertsten Wiederholung von „How I met your Mother“.

Und dann veranstalten wir alle vier Jahre Wahlen. Damit es so wirkt, als würde sich irgendetwas ändern und Sie hätten sowas wie Mitspracherecht.
Dazwischen streuen wir alle zwei Jahre ein sportliches Highlight. Damit das kollektive Dahinsiechen von einem kollektiven Freudentaumel übertüncht wird. Da können Sie dann wieder Fähnchen schwenken, wenn „Ihre Jungs“ spielen. Brot und Spiele nennt man das.

Und wenn Sie all das brav gefressen haben – das Dschungelcamp, den billigen Fusel, die Fähnchenparaden, Ihre Arbeitslosigkeit, Ihre Sinnlosigkeit und die Milliarden an Staatsschulden – dann kommt der letzte Schritt: Wir kürzen Ihnen die Bezüge. Einfach, damit Sie merken, wie schön Sie es vorher hatten.

Und falls dann immer noch jemand aufmuckt – keine Sorge. Wir haben ja noch den internationalen Terrorismus in der Hinterhand. Ein langer Bart, ein großes Messer – und schon vergessen Sie, dass Ihr Kühlschrank leer ist.
Dann kommen wir mit den Taliban und ich sags ihnen: Wir machen ihnen so lange Angst, dass sie ihnen durch Mark und Bein fährt!

Und spätestens dann…
Ja, spätestens dann fressen sie uns aus der Hand.

Siehst du? – genau so funktioniert es.
Menschen werden nicht mehr gebraucht, sie werden verwaltet. Nicht beteiligt, sondern ruhiggestellt.

Und das Fiese daran: Es klappt. Fast jeder macht mit. Wir fressen nicht nur aus der Hand – wir sagen auch noch Danke dafür.
Denn die Volksverblödung macht sich bezahlt für die da Oben.
Wir beweisen das mit unserer Aufmerksamkeit, für die falschen Dinge; mit unserer Zeit, die wir mit diesen Dingen verbringen und vor allem mit unserem Schweigen dazu.
Die Pointe ist also keine Pointe, sondern ein Spiegel.
Christoph Sieber´s Satire von 2012 ist zur Realität von 2025 geworden.
Und das wirklich Schlimme daran: Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass wir es nicht mehr bemerken.
Und genau das ist das wahre Schweigegeld.
Nur, dass WIR es bezahlen.

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