Achtung: Wir machen das ja GANZ anders.

Ich schaue in mein Mikrofon und frage mich: Wie anders bin ich heute wirklich – oder tu ich nur so? In der neuen Episode erzähle ich von kaltem Kaffee, Podcaster-Egos und meinem ganz persönlichen Narzissmus der kleinen Unterschiede.
Das ist zumindest die Behauptung.
Aber warum genau dieses „Ganz anders“ oft nur ein etwas anders angeschrägtes „Ganz gleich“ ist… und warum wir uns trotzdem so gut dabei fühlen… ist mehr als das.
Es ist Donnerstagmorgen, kurz nach neun, und ich sitze vor meinem Mikrofon. Also nicht irgendeinem Mikrofon, sondern meinem – auf das ich ein Jahr lang gespart und es selbst gelötet habe. Ein Mikrofon, das mich „authentischer“ klingen lässt – um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht was das heißen soll, wenn man allein in einem Zimmer ist, das aussieht wie ein Audio-Labyrinth aus Schaumgummi, Akustikvorhängen und Selbstzweifeln.
Authentischer. Ich stelle mir vor, wie irgendwo ein Algorithmus sitzt und Daumen hoch oder runter gibt.
Wer bitte, frage ich mich, bewertet denn meine Authentizität? Soll ich mir morgens ein Zertifikat drucken? „Heute: 87 % echt. Leichte Verluste im Bereich der Zuversicht.“ Vielleicht gibt es eine App, die das misst. Der SpeckScore – wie echt bist du heute?‘ Mit Monatsabo.
Oder sitzt irgendwo in den Tiefen des Internets ein blasser Mann mit Kopfhörern, so ein Typ, der meinen Atem audiodaktisch analysiert und sagt: „Hm… der Speck klingt heute leicht ironisch-müde, das gibt Punktabzug. Authentisch wäre, wenn er fröhlich wäre. Oder wenigstens bemüht.“
Vielleicht gibt es bereits ein geheimes Komitee – wie bei Loriot, nur ohne die Eleganz der Herren im dunklen Anzug – das sich jeden Podcast anhört, sich die Brille zurechtrückt und flüstert:
„Ja… ja, er bemüht sich. Aber glauben… glauben tun wir’s ihm nicht.“
Und ich, mitten in meinem Schaumgummi-Boudoir, denke mir: Wenn Loriot noch lebte und dieses Spektakel sähe, er würde wahrscheinlich die Pfeife heben, eine Augenbraue lüpfen und sagen:
„Früher hat man geredet, um sein Publikum zu unterhalten. Heute muss man erst nachweisen, dass man es ehrlich so meint, wie man es sagt. Unterhaltung war mal so einfach.“
Auf dem Tisch liegt mein Notizbuch, die nächste Episode muss noch fertig werden. Daneben eine Tasse Kaffee, die längst Zimmertemperatur hat, aber nicht weg geschüttet wird, weil: eines Podcasters Kaffee wird grundsätzlich kalt.
Ich schaue auf die Aufnahme-Software, das blinkende rote Lämpchen.
Es starrt zurück.
Ein digitaler Beichtstuhl, in dem ich mich irgendwie selbst therapiere – und dafür noch stolz auf „Eigenproduktion“ klicke.
Plötzlich höre ich sie wieder: diese leisen Stimmen in meinem Kopf.
Nicht meine inneren Dämonen – derer gibts ohnehin genug – die anderen Podcaster.
„Wir machen’s ja ganz anders“, höre ich sie sagen. „Unser Konzept ist… freier.“
Frei von Konzept, wahrscheinlich. Und manchmal frei von Inhalt, aber das sagt keiner.
Anders machen – das sagen sie übrigens alle. Es ist der ‚Guten Tag‘-Satz der Podcast-Bubble.
Ich nehme einen Schluck meines kalten Kaffees aus dem toGo Becher und frage mich: Wann genau hat diese Szene, die doch alle das Gleiche wollen – reden, denken, gehört werden – angefangen, sich gegenseitig mit Mikrofonschwingungen zu übertrumpfen?
Ich meine, wir sind wie eine Selbsthilfegruppe für Egos, die sich zu schade sind, in Therapie zu gehen. Deshalb haben wir die Couch durch ein Mikrofon ersetzt.
Manchmal frage ich mich, ob der alte Sigmund, nein, nein, nicht mein Nachbar, der andere Sigmund, der Freud-Sigmund – ihr wisst schon, der mit der Couch – also, ob er damals gedacht hat, dass es einmal eine Berufsgruppe geben würde, die sich auf derart liebevolle Weise zerfleischt – mit Details, die wie Argumente formuliert werden. Freud hätte wahrscheinlich notiert: „Interessant. Abwehrmechanismus: Kabelsalat mit Bedeutungsschwere.“
Der hat vor langer Zeit diesen einen Satz geschrieben – den vom Narzissmus der kleinen Unterschiede.
Er meinte damit, dass Menschen, die sich eigentlich sehr ähnlich sind, sich gerade deshalb umso stärker voneinander abgrenzen. Damit sie glauben können, sie seien, trotz ihrer Zugehörigkeit zur selben Gruppe, einzigartig – wenigstens im Detail.
Ob es irgendwo eine geheime Tabelle gibt, in die all diese Unterschiede eingetragen werden? So eine Art olympisches Punktesystem für Nichtigkeiten:
“Benutzt ein Großmembran-Mikrofon: +2 Punkte. Schneidet selbst: +1 Punkt. Produziert in der Besenkammer unter dem Dach: Bonuspunkte für Authentizität.“
Ich will da nicht mitmachen, aber natürlich tu ich’s – unbewusst, wie alle anderen. Und ja, ich weiß, ich habe diesen Satz gerade widerwillig zugegeben. Hoppala.
Denn der alte Sigmund hätte an diesem Punkt wahrscheinlich seine Brille abgenommen, einmal tief durchgeatmet und gesagt: „Sehen Sie, Herr Speck, genau so funktioniert der Narzissmus der kleinen Unterschiede. Gleiche Menschen, gleiche Interessen, gleiche Routinen – und doch ein Krampf, sich um jeden Preis anders geben zu wollen.“
Und ich hätte genickt, als hätte ich’s schon immer gewusst, dabei höre ich’s zum ersten Mal und tue nur klug. Das war jetzt wieder so ein kurzer authentischer Moment, falls Du es gemerkt hast.
Wir Podcaster sind uns eben alle viel zu ähnlich, um es auszuhalten.
Wir trinken alle den gleichen kalten Kaffee, wir kämpfen mit der gleichen Software, und wir sprechen in die gleichen Mikrofone.
Aber wehe, jemand nimmt dasselbe Modell – dann ist das schon fast eine Katastrophe.
„Ach, du hast auch ein NT1?“, sagt der andere dann in einer Tonlage, die irgendwo zwischen Anteilnahme und Verachtung liegt. „Mutig.“
Ich liebe dieses Wort. Mutig.
Als hätte ich meine Stimme mit bloßen Händen in einem dunklen Wald erlegt und nicht erarbeitet.
Die Wahrheit ist doch, ich habe mir mein Mikrofon doch auch nur zugelegt, weil ich weiß, dieses Modell wird sonst wohl kaum jemand benutzen – womit ich meinen Alleinstellungsmerkmal beweisen kann.
Nur für den Fall, dass jemand fragt. Und damit ich es jetzt sagen kann.
Der eine schwört auf ein Mikrofon, das angeblich „die Tiefen besser einfängt“, der andere auf ein Interface, das „den Raum öffnet“ – was immer das bedeuten soll, wenn der Raum aus Schaumstoff besteht und aussieht wie der schlecht gelaunte Cousin eines Matratzenlagers.
Und dann ist da noch dieser subtile Wettstreit, wer „näher an den Menschen“ ist. Als würde man sich nicht einfach vor ein Mikro setzen, sondern in die emotionale Hocke gehen, um dem Zuhörer zärtlich übers Trommelfell zu streichen.
Näher am Menschen… ich sitze hier alleine im Zimmer, barfuß, mit kaltem Kaffee.
Wenn das Nähe ist, dann gute Nacht.
Doch darum gehts: Wir sind uns alle viel zu ähnlich, um es auszuhalten. Ich erinnere mich an unser Podcast-Treffen neulich – eine Bühne, viele Menschen, alle gleich – und alle im verzweifelten Kampf, anders zu klingen.
Der Ganze liebenswürdige Haufen war wie ein Raum voller Mikrofone, alle angeschlossen – nicht an Mischpulte, sondern an Egos. Es war wie eine Messe für Gleichgesinnte, die sich nur trafen, um einander die Gemeinsamkeiten auszureden.
„Wir sind ja kein Laberpodcast. Wir erzählen Geschichten mit Haltung.“
Ein anderer nickte. „Ja, so ähnlich wie wir. Nur anders.“
Ich beobachtete, wie sie alle mit wichtiger Miene ihre Unterschiede vor sich hertrugen, wie Orden aus feingeschliffener Selbstwichtigkeit. Jemand erklärte mir mit ernster Stimme, sein Podcast sei „radikal unabhängig“, während er gleichzeitig am Gratis-Kaffee nuckelte, den die Sponsoren verteilt hatten. Und neben ihm stand einer, der behauptete, er mache „keine Interviews, nur Gespräche“, als wäre das ein philosophischer Kampfbegriff und nicht einfach die Beschreibung von zwei Menschen, die reden.
Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich der ganze Saal in einer Art akustischem Balztanz befand: Jeder erzählte, wie einzigartig er sei, während alle dieselben Buzzwords benutzten. „Wir sind die Stimme der Unsichtbaren“, sagte einer, der exakt so klang wie die fünf Unsichtbaren vor ihm. Und ein anderer behauptete, er wolle „den Diskurs öffnen“, was in diesem Fall bedeutete, dass er besonders breite Kopfhörer trug.
Ich stand da und hörte ihnen zu, wie sie ihre Formate beschrieben, jedes mit der Inbrunst eines Mannes, der seinen Staubsauger für ein Klangheiligtum hält und stolz auf die Saugstufe verweist, als sei es ein Grammy.
Eine Frau erklärte, ihr Podcast arbeite „mit Stille“, worauf ein Mann sofort einwarf, er arbeite „gegen die Stille“. Und während sie sich gegenseitig überboten, dachte ich: „Wenn hier einer niest, wird das vermutlich sofort als innovatives Sounddesign interpretiert.“
Und genau in diesem Moment, als die ersten wirklich ernsthaft darüber diskutierten, ob man eine Pause im Gespräch jetzt „Atempause“ oder „innere Öffnung“ nennen müsse, wurde mir klar, dass ich hier gar nicht als Beobachter stand. Ich war einer von ihnen. Ein wandelnder Klangkörper mit Meinung. Ein Mann, der sein Mikrofon wie eine Glaubensfrage behandelt und sich einredet, er stünde über den Dingen, während er in Wirklichkeit mitten im akustischen Weihrauch steht.
Und ich also, mittendrin, dachte: So fängt wahrscheinlich jeder Religionskrieg an.
Und das Schönste ist: Wenn uns dann endgültig die Argumente ausgehen – also wirklich alle, bis hinein in die letzten Reste professioneller Selbstachtung – dann kommt immer dieselbe Karte auf den Tisch: die Downloadzahlen.
Da stehen wir dann, wie mittelalterliche Händler auf einem Marktplatz, die ihre Ware nicht beschreiben können, aber dafür sehr laut verkünden, wie schnell sie ausverkauft gewesen sein könnte.
„Ach, wir sind ja ganz zufrieden“, sagt einer, während er die Zahl so beiläufig fallen lässt, dass sie wie ein schwerer Amboss klingt. Und ich nicke, lächle höflich und schiebe meine eigene Statistik gedanklich unter einen Teppich, wo sie niemand findet – nicht einmal ich. Der Teppich ist mittlerweile so voll, ich überlege, ihn als akustische Dämmung zu verwenden.
Bei diesem Zahlenvergleich merkte ich, wie sich in mir dieses schäbige kleine Gefühl regte, ein Gefühl, das sich bei mir immer dann meldet, wenn mein Stolz kurz nicht weiß, wohin mit sich. Es sieht aus wie Neid, klingt wie Anerkennung und fühlt sich an wie die Erkenntnis, dass man gerade argumentativ bei minus drei steht.
Ich spürte, wie mein Ego sich kurz räusperte – dieser kleine Hochstapler hinter meiner Stirn – und mir zuflüsterte: „Aber du bist ja wirklich anders.“
Und genau in diesem Flüstern, in diesem mikroskopisch kleinen Unterschied, so klein, dass man ihn nur mit der Pinzette des Selbstbetrugs festhalten kann, da saß er wieder. Der winzige Narzissmus.
Der alte Freud hätte wahrscheinlich nur genickt, die Brille geputzt und gesagt: „Da haben Sie es, Herr Speck. Diagnostisch ein Volltreffer.“
Wir Podcaster sind im Grunde wie Geschwister, die sich im Kinderzimmer um das größere Echo streiten. Alle erzählen Geschichten, alle wollen Tiefe, Nähe, Bedeutung – und alle reden gleichzeitig, nur um sich selbst besser zu hören.
Ich schaue auf mein Mikrofon.
Wie viele Monologe da schon hineingesprochen wurden – alle mit der Sehnsucht, verstanden zu werden, und der heimlichen Angst, dass es tatsächlich klappt. Erfolg ist ja oft das Gefährlichste, was einem Ego passieren kann.
Es ist immer noch Donnerstagmorgen, kurz nach neun.
Das Lämpchen leuchtet immer noch, der Kaffee ist jetzt offiziell unrettbar, und ich sitze immer noch in meinem Studio vor diesem Mikrofon, das sonst keiner hat und mich angeblich „authentischer“ klingen lässt.
Das ist der Kern dieses Narzissmus der kleinen Unterschiede.
Wir erfinden mühsam Distinktionen – Formate, Konzepte, Mikrofon-Typen, Haltungen –, nur um nicht merken zu müssen, wie ähnlich wir uns sind. Wir distanzieren uns voneinander, damit wir uns selbst nicht zu nah kommen. Am Ende sind wir doch nur Menschen, die verzweifelt versuchen, ein kleines Stück besser zu sein als die anderen – und es kaum aushalten, wenn wir es nicht sind.
In meinem Kopf sehe ich den alten Freud, wie er sich die Brille zurechtrückt, ein wenig müde wirkt und dann sagt: „Der Mensch, Herr Speck, erträgt seine Ähnlichkeit mit den anderen nicht. Also streitet er über Kleinigkeiten – damit er nicht darüber reden muss, wer er wirklich ist.“

