Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
14. November 2025

Was tust Du aus Liebe? – Alles? Echt jetzt?

Mann mit verschalfenem Gesicht im Badezimmerspiegel und beim Zähneputzen

„Was tust du aus Liebe?“ – eine dieser Fragen, die sich anhören, als kämen sie direkt vom Kalender der Lebensweisheiten neben der Zahnbürste. Thomas Speck in seinen morgendlichen Halbschlaf zwischen Zahnpasta, Selbstreflexion und Kaffeedurst. Zwischen Kalenderblatt und Kaffeebecher entdeckt er, dass Liebe vielleicht gar kein großes Opfer ist, sondern eine Haltung.

Morgens, halb sieben. Schon wieder.
Mein Gehirn läuft noch im Standby, die Gedanken kreisen irgendwo zwischen Traum und Was-hab-ich-zu-tun-Liste.
Und im Bad hängt der Kalender mit Lebensweisheiten und Sprüchen.
Eine tägliche Dosis Sinn, laminiert gegen Feuchtigkeit und Zweifel.
Ist nicht meiner und ich drehe die Seiten auch selten mal um.

Eigentlich stehe ich wenig auf Sinnsprüche am Morgen.
Das ist für mein Gehirn, das um diese elende Zeit nur auf Sparflamme arbeitet, wie eine dieser Türmatten, wo drauf steht: „Vorsicht, bissiger Pekinese“.
Heute steht da auf der neuen Seite – Danke fürs umblättern, Christine.
Äh, Nein, das steht nicht auf dem Kalenderblatt.
Das ist nur meine morgendliche Resthöflichkeit meiner Freundin gegenüber.
Nicht, dass ich sonst unhöflich wäre – aber um diese Uhrzeit… sagen wir, mein Charme liegt noch im Koma.

Wenn´s nach mir ginge, wäre das Kalender-Ding schon lange im Ofen gelandet… nun, das tut es nicht in solchen Fällen – nach mir gehen meine ich. Kalender und Dekoration sind Sakrosankt in unserem Hause.
Also, heute steht auf dem Kalender: „Was tust du aus Liebe?“
Ein Frage, oberflächlich so weichgespült, dass er aus einem Rosamunde Pilcher Roman gesprungen sein könnte.
Ich wollte gerade die Bürste ansetzen, als mich dieser Satz ansprang – mitten ins ungeschützte, weil Koffeinunterversorgte, Denkzentrum.
„Alles“, dachte ich.

Und schon war der Tag versaut.
Denn wer einmal vor dem Spiegel soetwas mit „alles“ beantwortet, sieht sich plötzlich nicht mehr bloß beim Putzen zu – sondern beim endlosen Versuch, ein moralisches Manifest in Seifenschaum zu schreiben.

Im Spiegel blickt mich die Erinnerung an die Nacht an – eine Mischung aus Augenringen und Restträumen. Unter meiner Visage das leise Tropfen des Wasserhahns, der wahrscheinlich schon länger Hilfe braucht. Aber wer hat morgens schon die Kraft, über Dichtungen zu nachzudenken?
„Was tust du aus Liebe?“

Ich hätte gerne geantwortet: Zähneputzen, Kaffee kochen, dann die Welt retten – in dieser Reihenfolge.
Aber mein persönliches ADHS wollte es wohl tiefer. Und Tiefe, das weiß jeder, der morgens noch Restzahnpasta im Mund hat, ist gefährlich vor dem ersten Kaffee.
Aber jetzt ist schon zu spät. Diese Frage bohrt und nagt in mir, verlangt eine Antwort. Mit einem Wroom springt der ADHS Motor an – stottert mangels Treibstoff – und es ist vorbei mit dem Morgenfrieden.
Ich sag’s ja – Selbstoptimierungszitate am Morgen locken Raubtiere aus ihren Höhlen.

Ich stehe also da, halb angezogen, halb anwesend, und starre auf diese Worte. Der Spiegel beschlägt langsam, der Rasierer piept beleidigt, weil ich ihn vergessen habe. Selbst das Badezimmer wartet auf Entscheidungen – und ich? Ich führe Grundsatzdebatten mit einem Pappkalender.
Ich tu alles aus Liebe.

Ich meine das ja anders. Ich tue nicht Dinge, weil ich jemanden liebe – ich tue Dinge in Liebe. Das ist ein Unterschied. Etwa so groß wie zwischen einem Lippenbekenntnis und einem Kuss. Das eine hat guten Klang, das andere Bedeutung.
Die meisten verstehen unter „aus Liebe tun“ ja eher das ganz große Kino: Kerzen anzünden, Rosen kaufen, sich selbst verlieren – und dann in irgendeiner Fernsehserien-Beziehungskiste landen, mit dem Untertitel „Basierend auf wahren Begebenheiten“.

Bei mir fängt die Liebe kleiner an. Zum Beispiel beim Kaffee. Ich koche ihn aus Liebe – nicht für jemand Anderen, sondern einfach für mich. Und weil mein Gehirn ein sehr empfindliches Wesen ist, das ohne Koffeinhaltige Zuneigung völlig verbittert.
Ich hab’s mal ohne versucht – drei Stunden später war ich ein anderer Mensch. Nur weniger liebenswert. Da hab ich gelernt: Manche Beziehungen sollte man niemals aufgeben – vor allem die zur Kaffeemaschine nicht.

Oder die Steuererklärung. Die mache ich auch aus Liebe. Zur Ordnung. Zur Gesellschaft. Und vielleicht ein bisschen, um dem Finanzamt zu zeigen, dass ich Gefühle auch in Tabellenform ausdrücken kann. Selbst Müll rausbringen ist, wenn man’s recht bedenkt, eine Geste an die Zivilisation. Ein Akt stiller Nächstenliebe gegenüber allen, die nach mir die Küche betreten.
Oder das Badezimmer.

Und, wenn wir schon dabei sind: ja – sogar Zähneputzen tue ich aus Liebe. Mundhygiene ist ein großer Beweis dafür! Denn was ist schon Romantik, wenn man morgens jemandem ins Gesicht atmet? Der nächtliche Brodem samt Knoblauch vom Vortag vernichtet doch jede zarte Regung.
Aber so meine ich das eben. Nicht dieses heroische, aufopfernde Pathos, bei dem man sich selbst mit verheizt, sondern die leise Variante. Die, die keiner sieht, weil sie das Tun selbst ist.

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Denn wenn ich sage, ich tue alles aus Liebe, dann meine ich nicht: Ich opfere mich für irgendwen. Tu ich bestimmt nicht. Ich meine: Ich bringe Liebe mit – in das, was ich tue. Das klingt vielleicht nach Esoterik, ist aber reine Pragmatik. Wer liebt, was er tut, muss weniger dagegen kämpfen. Und wer auch das Unangenehme aus Liebe tut, hat wenigstens einen Grund, es nicht zu hassen.

Aber wenn ich das jemandem erzähle, kommt immer dieselbe Reaktion: ein skeptischer Blick, irgendwo zwischen Mitleid und Verdacht auf Realitätsverlust. ‚Alles aus Liebe?‘ – Das klingt für viele wie ein Burnout auf Raten.
Vielleicht haben sie ja recht. Ich habe schließlich auch schon wegen geringerer Anlässe zu viel gegeben – Geduld, Zeit, Schokolade. Vielleicht ist Liebe einfach mein persönliches Überziehungsrahmen-Thema.

Alles aus Liebe also – nicht, weil alles liebenswert wäre, sondern weil Liebe das Einzige ist, was den ganzen Rest halbwegs erträglich macht.
Die Welt sieht das nämlich anders. Für viele ist Liebe heute eine Art Zahlungsmittel – mit hübschem Design, aber miserablen Wechselkursen. Man tut etwas „aus Liebe“, um etwas zurückzubekommen: Aufmerksamkeit, Dankbarkeit, gelegentlich ein Abendessen und … mehr. Liebe als Renditeversprechen.
Die einen tun aus Liebe alles – bis nichts mehr von ihnen übrig ist. Die anderen tun aus Liebe gar nichts – aus Angst, sich zu verschulden. Dazwischen sitzt die Mehrheit und versucht, den Kontostand der Gefühle mit Selfcare und Podcasts über „emotionale Balance“ auszugleichen.

Man kann heute kaum noch jemanden einfach nur mögen, ohne dass gleich ein Vertrag mitschwingt. „Wenn ich dir zuhöre, hörst du mir dann auch zu?“ – Das ist das neue „Ich liebe dich“. Und in Beziehungen läuft längst ein unsichtbares Bonusprogramm: jedes Mal, wenn du den Müll runterbringst oder die Spülmaschine ausräumst, bekommst du einen imaginären Punkt. Bei genügend Punkten kannst Du das dann gegen Zuneigung einlösen, sofern das System gerade online ist.

Liebe ist mittlerweile so inflationär, dass sie nur auf dem Kontoauszug steht. Da bucht der Algorithmus ab: „Eine Einheit Aufmerksamkeit, drei Likes und ein warmes Emoji.“ Der Mensch als Dienstleister am eigenen Herzen. Und wehe, man liefert nicht pünktlich – dann droht Liebesrückbuchung mit Kommentar: „Du hast dich verändert.“ Ich hab neulich gesehen, wie jemand auf Instagram seine Beziehung in einer Story beendet hat. Mit Hintergrundmusik. Und 432 Likes. Da wusste ich: Die Liebe ist offiziell verkauft worden.

Früher schrieb man Liebesbriefe, heute wartet man auf den „Zuletzt online“-Status. Liebe war mal ein grundlegendes Gefühl – jetzt ist sie bloß ein Projekt. Und wer sie nicht perfekt optimiert, scheitert an der Erwartung, ständig „authentisch“ zu lieben, aber bitte mit Filter und stabiler Internetverbindung.

Vielleicht ist das das eigentliche Missverständnis: Wir verwechseln Liebe mit Aufwand. Wir tun alles Mögliche – nur nicht das Naheliegendste. Einfach da sein. Ohne Strategie. Ohne Return of Investment.

Wenn ich sage: Ich tue alles aus Liebe, dann meine ich auch nicht, dass ich sie wie Konfetti durch die Gegend werfe. Ich bringe sie einfach mit. Nicht hinterher, nicht als Belohnung, sondern von Anfang an – wie einen Werkzeugkasten, nur ohne die Ölflecken.
Ich streue sie in den Tag wie Brotkrumen. Ob jemand die findet, ist nicht mein Problem. Ich habe meines getan. Liebe ist für mich kein Ziel, sie ist der Aggregatzustand, in dem man halbwegs unfallfrei durchs Leben kommt.

Aber sicher, manchmal vergesse ich sie auch. Dann schimpfe ich auf die Welt, auf Menschen, auf Steuerbescheide, komischen Sprüchen auf Kalendern oder nicht geleerten Müll – und merke erst beim zweiten Kaffee, dass ich die Liebe wohl in der Jackentasche gelassen habe. Aber das ist in Ordnung. Sie läuft nicht weg. Liebe hat ja kein Haltbarkeitsdatum.
Manchmal finde ich sie abends wieder – zwischen alten Kassenzetteln oder einem zerknüllten Einkaufszettel, auf dem ‚Brot‘ steht. Und ich denke: Stimmt, das wollte ich auch noch besorgen. Natürlich hab ich das auch vergessen.
Das ist ganze Geheimnis: Liebe ist keine Tat, sondern eine Haltung. Eine Art innere Temperatur. Sie wärmt nichts Bestimmtes – sie ist einfach da. Und manchmal reicht das schon, um den Rest des Tages nicht einzufrieren.

Ich wollte das gerade aufschreiben – als mir auffiel, dass ich schon wieder Zahnpasta auf dem Pulli hatte. Da stehe ich noch immer am Spiegel – die jetzt leere Zahnbürste in der Hand vorm Mund.
Ich blinzle – noch immer unterkoffeiniert, mit dem zerknitterten Verstand des Morgens – und starre darauf. Hübsche Flecken, akkurat verteilt, wie kleine Liebesbotschaften aus der Tube.

Ich nehm’s gelassen. Auch das, denke ich, ist Liebe. Zur Ironie des Lebens.
Christine ruft aus dem Wohnzimmer, ob ich schon Kaffee gemacht habe. Hab ich natürlich nicht. Ich hab ja noch nicht mal die Zähne geputzt.

Ich knurre mein ADHS an: „Du bist schuld!“
Und ADHS bellt zurück: „Was? Wenn da halt der blöde Kalender hängt“.

Ruhe jetzt, Gehirn – ich will Zähneputzen! Nun – den Gedanken zu Ende führen, dass muss ich auch noch.
Also, wenn ich ehrlich bin: Liebe ist kein großes Gefühl, das mich zu besseren Dingen treibt.
Sie ist eher das kleine Lächeln, mit dem ich meinen eigenen Blödsinn ertrage.

Und vielleicht beginnt genau da der neue Tag – zwischen Zahnpasta, Kalenderweisheit und der stillen Hoffnung, dass heute keiner diesen alten Pulli sieht.

Vielleicht sollte ich doch einen neuen Kalender kaufen – einen ohne Sprüche, nur mit freien Tagen. Aber wahrscheinlich würde ich auch da wieder irgendwas hineininterpretieren.

Aus Liebe natürlich.

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