Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
15. August 2025

Vom Morden und Schreiben – Memoiren eines Buchstabengenerals

Quadratisches Cover im realistischen, malerischen Stil. Es zeigt einen älteren Mann mit weißem Haar, Bart und Brille, in militärischer Uniform mit ernstem Blick. Im Hintergrund sind Rauch, Feuer und fliegende Buchstaben zu sehen, was an eine chaotische Schlacht erinnert. Oben steht in großen gesperrten Buchstaben der Titel „Vom Morden und Schreiben“, darunter kleiner „Memoiren eines Buchstaben-Generals“

Wie ist das so als Schreiberling, wenn man nicht weiß, was man schreiben soll? Am Ende löscht man mehr Buchstaben, als man Geschichte gewinnt. Es gleicht einem Krieg, der auf dem Papier – nun, dem virtuellen – stattfindet.

Manchmal fließt mir eine Geschichte wie flüssiges Gold aus den Fingern, und manchmal… ja, da sitze ich da wie ein Beamter vor einem Drucker, der „Papierstau“ meldet: bewegungslos, hilflos, und mit dem dumpfen Gefühl, dass alles gleich in Flammen aufgeht.
Wie ihr wisst, bin ich Mitglied bei dem Podcast Netzwerk, die Podfluencer. Als solches kann ich mir eine Aufgabe geben lassen, die ich dann in eine Episode verwandele, die wiederum in deren Podcast veröffentlicht wird.
Und weil das Leben Humor hat, bekam ich von den Podfluencern vor langem die Aufgabe, eine Geschichte über Menschen zu erzählen. Nur dass mir zu diesem Thema – so auf Kommando – gar nichts einfallen wollte. Papierstau im Kopf eben.
Darüber werde ich heute erzählen.
Vom Morden und Schreiben – Memoiren eines Buchstabengenerals
Die Suche nach einer Geschichte, die ich zum Besten geben kann, ist immer seltsam. Manchmal, da möchte man meinen, die Muse wäre die ganze Nacht neben mir im Bett gelegen. Und manchmal, so will es scheinen, da ist sie eifersüchtig und hat möglicherweise Migräne.
Das eine Mal fließt mir die Geschichte, die Story, das Skript nur so aus den Fingern, das andere Mal fische ich bloß im Trüben.
Man kennt mich ja.
Ich der Zyniker, der Sarkast beim Schalltrichter.
Ich der feine Storyteller bei Against Fate.
Und auch ich: die Stimme für das Podcastnetzwerk Die Podfluencer.
Da meinte man wohl: gib dem Thomas eine Aufgabe, die ihm auf den Leib sozusagen gemassschneidert ist.
Mitnichten.
Da sitze ich nun schon seit Ewigkeiten und lösche Absatz für Absatz, noch bevor die aneinandergereihten Sätze sich zu einer Geschichte verbinden und jedweden Sinn ergeben könnten.
Es ist ein Krieg.
Ich, der General, schicke meine Einheiten ins Feld: tapfere Konsonanten, schwankende Vokale, aufrechte Satzzeichen. Sie marschieren in Heeren übers virtuelle Papier.
Und sterben wie die Fliegen.
Kleine Soldaten, große Soldaten, Sondereinheiten.
Ich gruppiere sie, ich formiere die Gruppen zu Kompanien und kreiere Bataillons.
Doch nichts, absolut nichts, was ich tue und welcher Strategie ich auch folge – macht einen Unterschied.
Sie alle zerschellen an der weißen Wand des Feindes.
Eine Fläche so rein, dass sie in ihrer Leere provozierte – als würde sie sagen: „Komm doch, wenn du dich traust.“
Ich kann nicht umhin, sein Geschick zu bewundern. Winkelzug um Winkelzug schleudert er mir entgegen und an seinen Argumenten vergehen meine Ergüsse. Das Schlachtfeld ist groß geworden im Verlauf des Kampfes.
Unzählige Buchstabenleichen, sich krümmende Satzzeichen und sterbende Konsonanten, Vokale, die in eintönigem Geschrei verglühen am Hass des Gegners.
Ich stand vor meinem Regiment aus Buchstaben. A bis Z, in Reih’ und Glied, in der Morgensonne des Schreibtischlichts glänzend.

„Vorwärts!“ mein Befehl.
Das A stürmte los, gefolgt von den mutigen Vokalen. Sie krachten gegen die Wand des Papiers – und zerfielen zu schwarzen Tintenflecken.

Das B kam als Nächstes, schwer gepanzert, doch es versank im Morast einer halbgaren Metapher. Das C, ein flinker Bursche, wurde von einem Komma-Hinterhalt niedergestreckt.
Sätze brachen zusammen, Absätze flüchteten.

Ich schickte die Verben – schnelle Stoßtrupps – doch sie kehrten verstümmelt zurück, ohne Subjekte.
Der Feind war unerbittlich.
Nur am Horizont wehten noch die Fahnen der Adjektive, bunt und stolz, doch sinnlos wie Paradekostüme im Schützengraben.

Und ich grinste höhnisch. Denn egal wie viele Buchstaben fielen – irgendwo in den Kasernen meines Kopfes warteten schon neue, bereit für die nächste sinnlose Offensive.
Obwohl schreiend, protestierend, müssen sie vergehen, die Buchstaben.
Sie hetzen, sie stöhnen, sie sind verzweifelt und bäumen sich auf.
Aber es hilft alles nichts.
Die Macht meines Löschtastenfingers killt sie alle, löscht sie aus.
Es ist ein Genozid am Alphabet.
Überall tote verkrümmte Buchstaben, verkohlte Kommas, röchelnde Umlaute, die in der Hitze der Selbstkritik verglühen, nur um jeden Beweis ihrer Existenz zu zerstören.
Ich will Reinheit!
Ich will Glorie!
Ich will meinen Sarkasmus wiederhaben!
Und so habe ich heute den Massenmord an unschuldigen Buchstaben zu verantworten, kleine wie große, Um- und Selbstlaut, ein unglaublicher Buchstabenbrei verschiedenster Größe und Natur.
Und ich genoss es!
Wie sie fielen, die Lettern!
Wie sie kämpften bis zum bitteren Ende – das tapfere „Q“, das noch einmal einen sinnlosen Flankenangriff wagte, bevor ich es im Chaos zertrat.
Das heroische „E“, das mit letzter Kraft noch einen Satz zu bilden versuchte – nur um schließlich als einsamer Vokal zu verenden, irgendwo zwischen zwei zersplitterten Bindestrichen.
Selbst die mächtigen Ausrufezeichen, die Fragezeichen, der Doppelpunkt – sie rannten panisch, warfen sich in sinnlose Scharmützel, und das unschuldige Semikolon, das ohnehin keiner je richtig verstand, fiel in den Schützengräben der Verzweiflung.

Überall schrie es nach Bedeutung, doch die weiße Wand blieb unberührt.
Das Schlachtfeld stank nach verbranntem Beisatz und gebrochenen Metaphern.

Und ich?
Ich stand wie ein Fels und feierte den Untergang meiner Armee.
Ich bin ein Buchstabenmörder. Serienmäßig und methodisch.
Kampf der nichtssagenden, nichts bedeutenden Masse, solange bis endlich ein Meisterwerk an Kurzgeschichte den Raum füllt, die der alphabetische Mob zuvor eingenommen hat.

Gute Arbeit soll sich lohnen!

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In meiner Vorstellung erstrahlt meine Geschichte, tönt allen Orten und zahllos aus Lautsprechern in Autos, Kopfhörern, Blauzahnboxen und quäkenden Handys.
Bewunderung, Jubel, Applaus!
Und ich wäre meinem guten Rufe gerecht geworden.

Doch …
…Die Muse küsst nicht, sie liebt nicht und pflegt ihre Migräne.

So ich stehe da, verlassen, vor meinem virtuellen Papier, blamiert, ernüchtert, wohl mit der Macht, die blindwütige Alphabetenschar zu vernichten oder sie neu zu erschaffen und dennoch – unbefriedigt.
Denn was nützt mir meine Macht, da sie doch nicht reicht, etwas zu erschaffen, das den tausendfachen Tod meines Heeres rechtfertigt?
Hier sitze ich denn mit verknoteten Fingern und einem gordischen Gedankenknoten im Gehirn.

Normalerweise kann ich mich darauf verlassen, dass irgendetwas aus meiner Denkkammer fließt, so dass nur noch meine Extremitäten in erprobtem Sechs Finger System die Tastatur beackern und eine Geschichte hervorbringen, die so manchem Hörer ein Lächeln ins Gesicht malt.
Heute dürfte das Ergebnis eher Grimassen sein.

Werden es Gesichter des Schreckens sein?
„Oh, da hatte der Thomas mal einen schlechten Tag. Verständlich bei der vielen Arbeit, die er gerade tut. Kann ja vorkommen.“
Oh, ich danke dir, mein wohlwollender, verständnisvoller Freund.

Oder wird’s doch eine Maske des Entsetzens?
„Oje je, jetzt ist er hin, der Thomas. Jetzt hat’s ihn zerlegt. Schreibblockade. Oh ja, das hat schon so manchen Autoren gekillt.“
Vor dir, der du so urteilst, fürchte ich mich!

Oder wird es eine Visage des Spotts?
„Ha ich hab’s ja immer schon gewusst. Welch ein Versager. Immer wenn’s drauf ankommt, da vergeigts der Thomas! Recht geschieht es ihm!“
Diese Vorstellung treibt mich in die Echokammer des hallenden Selbstzweifels: „Du kannst es nicht, du kannst es nicht.“

Und ich sitze hier wie Putin und kann nicht aufgeben. Ich schicke Leben um Leben ins Feld, ohne mir eingestehen zu wollen, dass mein Krieg verloren, mein Ansehen dahin ist, und jedwede Reputation nur noch aus dem Gully stinkt.
Ich habe alles versucht – Pathos, Ironie, Selbstmitleid.
Und das, während meine Muse mit einer Wärmflasche auf der Couch liegt und schnarcht.

Aber vielleicht liegt die wahre Kunst ja darin, einfach… irgendetwas zu erzählen?
Also gut.
Hier meine Geschichte:
Es war einmal ein Eichhörnchen. Es fand eine Nuss. Es hat seine Nuss aufgegessen.

Ende. Danke.
Applaus bitte.

Und nun entschuldigt mich – ich gehe meine Muse erwürgen.

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