Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
8. August 2025

Im Grunde gut? – Ein Plädoyer für die gepflegte Doppelmoral

Thomas Speck in einer der modernen Cafes an einem Stehtisch. Er lächelt verschmitzt – fast ein wenig über die Menschen, die er beobachtet. Dahinter Personen mit Handys, eine Dame mit einem Zebrastofftier unter dem Arm eine weiter zeigt demonstrativ eine Einkaufstasche mit einem Bio Aufdruck. Im Bild das Logo des Schalltrichters und die Überschrift: „Im Grunde Gut? Ein Plädoyer für die gepflegte Doppelmoral“

Im Grunde gut? – Wenn der Golden Retriever moralisch pinkelt
Im Herzen sind wir alle ein bisschen besser, als wir handeln – behauptet zumindest Rutger Bregman. Doch während seine These vom grundguten Menschen durchs Netz trudelt wie ein schwanzwedelnder Labrador, kratzt diese Episode genüsslich an der moralisch polierten Oberfläche des Alltags.

„Im Grunde gut“ – so heißt ein Buch von Rutger Bregman, das behauptet, der Mensch sei von Natur aus eigentlich freundlich, hilfsbereit und im Herzen so etwas wie ein kuscheliger Golden Retriever.
Und jedes Mal, wenn ich diesen Titel höre, muss ich lachen.
Nicht böse, eher so ein müdes, leicht bitteres Lachen eines Menschen, der gerade gesehen hat, wie ein Kind im Supermarkt seelenruhig das Kaugummi-Regal leer räumt, während die Mutter daneben sagt: „Ach lasst ihn doch, er ist halt lebhaft.“

Ich sehe den Hundebesitzer, der mit stoischer Ruhe neben seinem Hund steht, während dieser mitten auf den Gehweg kackt und danach seelenruhig weitergeht. Ist ja schon nach Mitternacht, da weiß morgens dann eh keiner, wer es war. Und die Gacksackerl sind ja sooo eklig.

Oder jener Nachbar, der jeden Morgen sein Auto mit laufendem Motor warmtuckern lässt, weil er ein kaltes Auto einfach nicht mag. Dass dabei die halbe Straße nach Diesel stinkt, nun ja… das ist eben der Preis, den wir alle für seine zarte Konstitution bezahlen müssen.

Und wir?
Wir schauen weg, weil wir ja so gut sind, dass wir niemandem in die Quere kommen.
Soll sich doch ein Zuständiger drum kümmern.

Im Grunde gut.
Ja, ganz sicher.
Ich frage mich: Wenn das hier bereits „im Grunde gut“ ist – wie sieht dann bitte das Gegenteil aus?

Aber vielleicht liegt das Problem ja gar nicht in dem, was wir tun – sondern in dem, was wir uns einreden.
Und hier muss ich ein Geständnis machen:
Ich glaube nicht besonders an den Menschen.
Zumindest nicht an diese weichgewaschenen Erzählungen, dass wir alle tief in uns drin gut, gerecht und voller selbstloser Liebe seien – so eine Art wandelnde Kuscheltiere, die sich händchenhaltend mit „Kumbaya my Lord“ gegenseitig willkommen heißen.

Nein, mein Alltag zeigt mir eher das Gegenteil: Dass wir oft und schlicht kleine, egoistische Gremlins auf zwei Beinen sind, die stolz den Kassenbon für ihr Bio-Fleisch aus Argentinien präsentieren – und dann empört die Nase rümpfen über den Feinstaub der Frachtschiffe, die es erst hergebracht haben.

Wer hat nicht schon einmal gedacht: „Soll doch der Nächste die Tür aufhalten“?
Wer hat noch nie beim Reißverschlussverfahren beschlossen: „Heute lass ich da keiner mehr rein.“
Wer hat noch nie was nebenbei verdient, ohne es zu versteuern – und sich diebisch darüber gefreut?Aber wehe, andere machen’s genauso.
Dann sind sie korrupt, unmoralisch – oder gleich kriminell.
Wir selbst? Ach, bei uns geht’s ja nur um 200 Euro. Die da oben – bei denen sind’s ja gleich Millionen.
Na dann ist ja nicht so schlimm.
Bei uns ist Schwarzgeld ja nicht so richtig schwarz. Höchstens ein bisschen grau.

Und genau da beginnt es: Dieses leise, selbstgerechte Zucken, das wir im Alltag so meisterhaft beherrschen.
Es sind ja selten die großen, dramatischen Verbrechen – meist sind es die kleinen Gemeinheiten, die beweisen, dass wir im Alltag bessere Hobbits mit schlechtem Benehmen sind. Wir sind ganz okay darin, uns selbst zu entschuldigen und in ein gutes Licht zu rücken.
Neulich habe ich eine Autofahrerin gesehen, die auf dem Radweg parkte – Warnblinker an, versteht sich, das macht’s ja quasi legal. Sie ist zur Bäckerei und war gut 10 Minuten drin.
Eine Radfahrerin wich der vor sich hin blinkenden Karre aus, geriet an den Randstein und flog quer über den Gehweg. Ihre Einkaufstasche verstreute den gesamten Inhalt in die betonierte Pampas.
Die Fahrerin in der Bäckerei? Die machte keine Anstalten. Kein Bedauern, kein Satz, nicht einmal eine entschuldigende Geste.
Später hörte ich sie sagen:
„Wenn die nicht aufpassen kann, soll sie halt nicht Rad fahren.“
Man konnte sehen: Es war ihr peinlich, aber das reichte nicht, um auch nur ein Wort über ihr Fehlverhalten zu verlieren.

Und ich dachte mir: Das Gut sein kann man bei der hier aber lange suchen.

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Aber vielleicht – und das ist jetzt nur eine These – vielleicht sind all diese Verhaltensweisen nur Beweise, dass wir im Grunde doch ganz gut sind?
Denn wir sind ja keine Monster, nur kleine, feige Opportunisten mit Restgewissen.

Wir schummeln bei der Steuer, aber verurteilen die Korruption der Anderen.
Wir verbiegen manchmal Regeln, aber melden Falschparker.
Wir sind nicht grausam – wir sind bloß inkonsequent.
Und was ist das anderes als Zivilisation?
Der Mensch hat sich schließlich nicht durch Nächstenliebe aus der Neandertaler Höhle entwickelt, sondern durch höflich geregelte Rücksichtslosigkeit.
Der moderne Alltag ist ein stilles Abkommen:
Ich tu so, als wärst du ein guter Mensch – und du tust so, als wäre ich einer.
Und dazwischen liegt der gesamte Weltfrieden.

Was glaubst du, was los wäre, wenn wir tatsächlich alle wirklich gut wären?
Ich meine: so richtig.
Keiner tut einer Fliege was zuleide.
Keiner streitet – weil es nichts zu streiten gibt.
Keiner lügt – weil niemand jemals etwas zu verbergen hätte.
Stell dir vor, der Mensch wäre schon immer so gewesen. Seit damals in den Höhlen.

Zwei Neandertaler stehen vor einem Feuer.
Der eine hat Hunger, der andere hat ein Mammut.
Und statt Keule auf Schädel gibt’s eine höfliche Anfrage mit Augenkontakt:
„Dürfte ich eventuell ein kleines Stück von deinem Mammut abhaben, sofern du keine Einwände hast?“
Und der andere sagt: „Aber sicher doch, nimm dir ruhig das Filet, mir reicht auch die Stelze.“

Es gäbe keine Geschichte. Keine Literatur.
Romeo und Julia hätten sich nicht verliebt – sie hätten sich bestenfalls gegenseitig Platz in der Kutsche angeboten und wären dann in unterschiedliche Richtungen gegangen, weil sie niemanden kompromittieren wollten.
Goethes Werther hätte einen Newsletter gestartet und über gesunde Lebensentscheidungen gesprochen.
Und Faust hätte seinen Vertrag mit Mephisto niemals unterschrieben, sondern stattdessen achtsam reflektiert, ob ihm nicht vielleicht Meditation helfen könnte.

Wir hätten keinen Fortschritt – weil niemand sich hervortun wollte.
Keine Erfindungen – weil niemand dem anderen etwas beweisen müsste.
Keine Religionen – weil niemand Schuld empfinden müsste.
Und keine Talkshows.
Das Internet wäre ein Ort des Schweigens.
Kein Hass, kein Neid, keine Werbung. Nur ein leerer Bildschirm, auf dem stünde: „Schön, dass du da bist. Es ist alles in Ordnung.“

Eine Welt voller guter Menschen, das klingt friedlich.
Aber es wäre auch das Ende jeder Dynamik, jedes Konflikts, jeder Reibung.
Also eigentlich: das Ende von allem.

Denn, und das ist die leider traurige Tatsache: Ohne dass wir uns gegenseitig die Schädel einschlagen, ohne dass wir lügen, betrügen und auf unseren Vorteil achten – tja…
Wäre der Mensch tatsächlich Im Grunde gut, dann würden wir noch heute zufrieden in unseren Höhlen hocken und das Feuer bestaunen, denn Handys gäbs dann auch nicht.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass wir ein bisschen mies sind.
Nicht aus Bosheit. Nur wegen der Betriebstemperatur.
Wir brauchen das.
Ein kleiner Hauch von Egoismus, damit der soziale Motor nicht überhitzt.

Vielleicht liegt das Problem gar nicht darin, dass wir nicht gut sind.
Möglicherweise liegt es ja daran, dass wir unbedingt gut sein wollen.
Also nicht wirklich – sondern nur so lange, wie es gut aussieht – hashtag #gutetat
Wir sind wahre Meister der moralischen Tarnung.

Wir sind gegen Ausbeutung, aber keifen wegen des Paketboten, wenn das Paket nicht bei den Nachbarn abgegeben wurde.
Wir lieben Diversität, solange der neue Nachbar nicht auf unserem Parkplatz steht.
Wir verteidigen Gerechtigkeit, solange uns niemand die Vorfahrt nimmt.
Wir retten das Klima – natürlich, klar. Aber eben nur so weit, wie der plastikverpackte Papierstrohhalm aus Südostasien reicht.
Für Tiere spenden wir gerne – am liebsten noch für exotische und fotogene Tiere.
Denn ein Selfie mit einem Zebra bringt mehr Likes als einer mit dem sabbernden Tierheimhund vom Stadtrand.
Wir kaufen Bio, nicht unbedingt wegen der Bauern, sondern wegen des warmen Gefühls beim Kassieren. Und weil der Aufkleber so hübsch grün ist – ein sichtbares Merkmal für: „Ich kanns mir halt leisten.“
Wir setzen uns für Menschenrechte ein, bevorzugt über einen Kommentar.
Und wenn irgendwo ein Unglück passiert, schicken wir Gedanken und klicken auf das Herzchen.
Und fühlen uns dann, als hätten wir tatsächlich – geholfen. Nur ohne Schwitzen.

Ja, wir machen das Richtige.
Nur eben nie so richtig.

Denn Gutsein – wirklich gut, so mit Konsequenz und Überzeugung – ist ja leider unpraktisch.
Es stört beim Parken.
Beim Einkaufen.
Bei der Steuer.
Es stört beim Leben.
Darum machen wir’s wie immer:
Ein bisschen gut, ein bisschen schlecht – und vor allem nicht zu auffällig.

Also: Menschen sind nicht von Grund auf gut.
Wir halten weiterhin nur Türen auf, weil wir ein Lächeln kassieren wollen.
Wir spenden, solange es eine Urkunde gibt und geben, mit einem sauberen Gewissen, damit an.
Wir schimpfen auf korrupte Politiker und nehmen selbst gern den 100-Euro-Schein von der alten Nachbarin, weil wir ihr ab und zu den Müll rausbringen.

Wir sind eben nicht „gut“.
Bestenfalls sind wir brauchbar.
Manchmal sogar charmant – besonders, wenn jemand dabei zuschaut.
Aber eigentlich nur so grade gut genug, um es uns selbst zu weis zu machen.

Wenn wir das nächste Mal jemandem helfen, dann vielleicht nicht, weil es uns gut aussehen lässt.
Sondern einfach, weil es schön ist.
Das wäre doch mal was.
Nicht im Grunde gut.
Sondern ausnahmsweise mal richtig, und ohne Applaus.

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