Autor:
Thomas Speck
Veröffentlicht am:
25. Juli 2025

Irgendwann. Ganz bestimmt. – Vielleicht sogar morgen.

Quadratisches Coverbild eines Podcasts. Vor einem warm getönten, gemalten Hintergrund liegt ein Stapel alter, abgenutzter Bücher auf einem Holztisch. Aus dem obersten Buch wächst ein kleiner Zweig mit zwei goldgelben Früchten. Oben im Bild in großen weißen Großbuchstaben der Titel: „IRGENDWANN. GANZ BESTIMMT.“ Darunter in kleinerer Schrift der Untertitel: „VIELLEICHT SOGAR MORGEN.“

„Irgendwann“ – das schickste Wort für „nie“
In dieser Folge geht’s um das charmanteste Gespenst unserer Vorsätze: „irgendwann“. Der Hochstapler im Smoking, der uns freundlich auf die Schulter klopft, während er heimlich das Dessert klaut.

„Das Dessert verschieben wir auf irgendwann“, habe ich gesagt, ganz am Ende der letzten Folge – und ihr habt genickt, nicht wahr? So wie man nickt, wenn jemand beim Italiener sagt: „Tiramisu? Später vielleicht.“
Denn wer könnte schon ahnen, was für ein schmieriger, windiger Typ dieses „Irgendwann“ in Wirklichkeit ist?

„Irgendwann“, sagt man.
„Irgendwann mache ich das schon. Ganz bestimmt. Vielleicht sogar morgen.“
Und schon klingt es wieder so… vernünftig.
Fast schon vorbildlich.
Denn „irgendwann“ ist das freundlichste andere Wort für „niemals“, das die deutsche Sprache zu bieten hat: ein „niemals“ im schicken Smoking, das uns beruhigt auf die Schulter klopft und sagt:
„Mach dir keine Sorgen. Du kommst auch noch dran.“
Und sich dann umdreht, die Serviette klaut und sich ins Fäustchen lacht.

„Irgendwann“ ist kein Wort, es ist eine Lebenslüge. Es kommt immer zur falschen Zeit und geht nie wieder weg.
Man muss sich das vorstellen: „Irgendwann“ ist wie der Freund, der immer wieder verspricht, bald vorbeizuschauen, nie einen Termin nennt und dann wochenlang Funkstille hält – aber du stellst trotzdem jedes Mal Kaffee und Kuchen für bereit, weil: Warten ist einfacher, als dir einzugestehen, dass er überhaupt nicht vorhat zu kommen. Anstatt ihn endlich rauszuschmeißen, lässt du ihn gewähren, weil er dir so nett zulächelt, dieser „Irgendwann“.

Es ist ja auch verlockend, ihm zuzuhören.
„Ich lerne irgendwann Spanisch.“
„Ich kündige irgendwann diesen verfluchten Job.“
„Ich sag ihr irgendwann endlich, was ich für sie fühle.“
Und immer nickt man dabei ganz ernsthaft, als hätte man eine feste Reservierung für die Zukunft:
„Irgendwann. Tisch 3. Bitte mit Kerze.“
Und während wir noch auf Tisch 3 warten, essen die anderen längst das Dessert.

Und wir, halb hoffend, halb resigniert, mit einem Dessertlöffel in der Hand, der nie zum Einsatz kommt – während „irgendwann“ lässig an der Bar lehnt, einen Espresso schlürft und sich köstlich über uns amüsiert.

„Irgendwann“ ist der größte Hochstapler unseres Alltags.
Er trägt kein Namensschild, kein Kostüm, aber er ist immer da.
Wie ein ungebetener Zaungast, der jede Party sprengt — indem er einem einflüstert:
„Ach, lass dir Zeit. Heute musst du das nicht entscheiden. Du hast doch noch… irgendwann.“
Er malt uns das Morgen in den schönsten Farben aus, während er das Heute in Ocker und Grau tupft.
Und wir fallen jedes Mal drauf rein.

Das typische „Irgendwann“ hört sich so harmlos an.
„Ich räum das irgendwann auf.“
„Ich melde mich irgendwann bei ihr zurück.“
„Ich lese das Buch irgendwann zu Ende.“
„Ich sag meinem Chef irgendwann, was ich von ihm halte.“
Wobei Letzteres gern exakt nach der Kündigung passiert. Im selben Moment wie „Ich wollte ja schon lange mal Spanisch lernen.“ Auf dem Sterbebett. Und auch dann nur im Präsens.

Manche „Irgendwanns“ halten ein Leben lang.
Da ist zum Beispiel der Mann, der seiner Freundin mit 25 den Antrag „irgendwann“ versprochen hat.
Mit 37 ist er immer noch Junggeselle mit derselben Ausrede.
Oder die Frau, die immer gesagt hat, sie reise „irgendwann“ nach Südamerika.
Man fand ihre alten Reiseführer eines Tages noch originalverpackt. Neben dem Buch „Irgendwann fang ich mal mit Yoga an“.

Und mein Liebling ist der Teenager, der „irgendwann“ sein Zimmer aufräumen wollte.
Das Mädel ist heute 42 und wohnt immer noch bei Mutti.
Nur das Zimmer hat mittlerweile einen eigenen Ökosystem-Eintrag bei Greenpeace und steht aufgrund der Sporen die dort wachsen unter Artenschutz.

„Irgendwann“ ist bequem.
„Irgendwann“ tut nicht weh.
„Heute“ — das klingt nach Arbeit, Schweiß, Risiko.
„Morgen“ — das riecht schon nach Ausrede.
Aber „Irgendwann“… das ist ein weiches Kissen mit dem Aufdruck „Träum weiter“ und einer gratis Portion Selbstbetrug.
Es klingt klüger als „nie“.
Es klingt hoffnungsvoller als „zu spät“.
Und es klingt wesentlich sanfter als „heute“.
„Heute“ — das ist eine Entscheidung.
„Irgendwann“ dagegen? Eine Wärmflasche fürs Gewissen. Lauwarm. Bequem. Und völlig nutzlos.

Und das Tragische daran ist: Man merkt es immer erst dann, wenn der Kellner schon abgeräumt hat und das begehrte Dessert längst aufgegessen ist.
Und der Typ im Smoking, der einem eben noch versprochen hat: „Deins kommt noch!“, spurlos verschwunden ist.
Mit der letzten Kirsche im Mund und seine Rechnung dürfen wir natürlich auch noch bezahlen.

Es heißt ja immer: die süßesten Früchte hängen ganz oben.
Ganz weit oben.
Für die Großen.
Das mag sogar stimmen.

Aber niemand erzählt einem dazu, warum wir trotzdem nur unten herumfingern.
Wir stehen unten, auf Zehenspitzen, zupfen ein bisschen an den Blättern und trösten uns:
„Ach, irgendwann werd ich auch groß genug sein.“

Aber da ist er ja schon wieder: der Herr „Irgendwann.“
Der Gentleman im Smoking, der hinter uns steht und leise flüstert:
„Noch nicht. Warte. Noch nicht ganz. Die da oben sind noch nichts für dich. Noch nicht.“

Und während er uns das immer und immer wieder einredet, passiert etwas Seltsames:
Wir werden kleiner.
Wir schrumpfen.
Mit jedem „noch nicht“ ducken wir uns ein Stück mehr.
Mit jedem „irgendwann“ ziehen wir den Kopf ein, nehmen die Schultern runter, stellen uns lieber nicht so sehr auf die Zehenspitzen.
Denn es könnte ja sein, dass wir auffallen. Oder dass wir wirklich etwas kaputt machen!
Oder schlimmer noch: dass wir nach der Frucht greifen und feststellen, dass sie eigentlich doch gar nicht schmeckt.

Also bleiben wir unten.
Wo es einfach ist.
Wo man sich nicht strecken muss.
Wo man sagen kann: „Ach, irgendwann bin ich groß genug. Irgendwann bin ich mutig genug. Irgendwann nehm ich mir, was ich will.“

Und während wir kleiner und kleiner werden, schauen wir nach oben.
Der Baum bleibt immer gleich: stattlich, voll behangen, seine Früchte greifbar wie nie. Wir könnten sie jetzt pflücken – heute!
Aber wir ducken uns, während andere längst zugreifen und sich den Mund vollstopfen mit all den Früchten, die wir nie gewagt haben zu pflücken.

Und das Bittere ist:
Der Baum schaut uns nur stumm an, als wolle er sagen: „Na los. Ich hab doch extra für dich so viele Früchte hängen lassen. Greif doch endlich zu!“

Aber wir hören lieber weiter auf „irgendwann“.
Weil es bequemer ist, zu sagen: „Ich bin halt noch nicht soweit,“ als zu riskieren, dass einem die Schale nicht schmeckt.

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„Irgendwann“, so sagen wir uns, „das klingt doch gut.“
Das klingt nach Zukunft, nach Möglichkeiten, nach einem kleinen Licht am Ende des Tunnels, das uns sagt: „Geh ruhig langsam. Du hast ja noch Zeit.“
Wir nennen es Hoffnung.
Wir klopfen uns auf die Schulter und lächeln weise: „Ich glaub an mich. Ich brauch nur noch ein bisschen.“

Dabei ist „irgendwann“ gar keine Hoffnung.
Sondern Angst.
Angst in Sonntagsschuhen, sorgfältig poliert.
Angst vor dem Sprung. Angst davor, dass wir uns verrenken. Angst dass wir fallen. Angst davor, zu erfahren, was passiert, wenn wir die Frucht tatsächlich pflücken und sie vielleicht anders schmeckt als erwartet.
Oder dass plötzlich alle Augen auf uns gerichtet sind, weil wir es gewagt haben, uns zu strecken.

Das „Jetzt“, ist Arbeit.
„Jetzt“ ist auch Risiko.
Es ist eine Entscheidung, für die wir gerade stehen müssen.
„Jetzt“ bedeutet: sich vom warmen Boden zu lösen, auf Zehenspitzen zu balancieren und den Mut zu haben, sich zu strecken.
Und vielleicht auch zu scheitern.
Und vielleicht zu blamieren.

„Irgendwann“ dagegen, ja das ist Sicherheit.
„Irgendwann“ erlaubt uns, weiterhin unten zu stehen und dabei gut auszusehen.
„Irgendwann“ ist das Trostpflaster für die Seele, der gemütliche Sessel, in dem wir sitzen und sagen können: „Ich könnte ja, wenn ich wollte.“
Und weil wir das immer wieder behaupten, müssen wir es niemals beweisen.
So bleibt uns die Illusion, dass wir eigentlich alles in der Hand hätten, während wir längst die Hände auf den Rücken gebunden haben.

„Irgendwann“ ist also nicht das Licht am Ende des Tunnels.
Es ist der Projektor, der den Film abspielt, den wir uns immer wieder ansehen, um nicht aufstehen zu müssen.
Der Film heißt „Mein großartiges Leben von Morgen“.
Er läuft in Endlosschleife.
Und in der Hauptrolle: wir selbst.
Mit einem Gesichtsausdruck, der sagt:
„Bald wird alles besser. Ich muss nur warten.“

Denn das ist der wahre Zauber von „irgendwann“: Es flüstert uns ein, dass wir gar nichts tun müssen.
Dass die Dinge sich schon von selbst fügen werden.
Dass der Baum seine Früchte schon von selbst fallen lässt.
„Bleib einfach sitzen“, zischt „irgendwann“, „die Schwerkraft erledigt das schon.“
Und wir glauben ihm.
Denn das klingt doch schön, oder? Nicht strecken, nicht klettern, nicht schwitzen, nicht scheitern.
Nur geduldig sein und zusehen, wie das Glück uns irgendwann in den Schoß plumpst.

Und so hocken wir darunter, den Blick nach oben gerichtet, die Hände bereit, als könnte jeden Moment eine dieser goldenen Früchte herunter purzeln.
„Nur noch etwas Geduld“, murmeln wir, „alles zu seiner Zeit.“ „Man muss den Dingen ihren Lauf lassen.“
„Was sein soll, wird schon zu mir finden.“
„Morgen höre ich auf zu trinken,“ „Morgen lasse ich das Rauchen,“ „Ab morgen beginne ich mich zu lieben,“ … ach ja

Das Absurde ist:
Selbst wenn wirklich einmal eine Frucht vom Baum fällt, nehmen wir sie dann wirklich?
Oder schauen wir schnell weg und tun so, als ob wir das gar nicht bemerkt hätten?
„Ach, das war nicht die richtige. Ich warte lieber noch auf die bessere. Die kommt sicher auch bald.“

Der „Irgendwann“ hat uns so gut dressiert, dass wir selbst dann zögern, wenn das Warten endlich vorbei wäre. Und so warten wir weiter. Immer weiter.
Auf den perfekten Moment, der so absolut perfekt sein soll, nur damit wir nie loslegen müssen.

Der Baum bleibt ungerührt stehen, als wollte er uns sagen:
„Auf was, zum Henker, wartest Du eigentlich? Ich werfe hier gar nichts ab. Wer was will, der soll gefälligst hochkommen.“

Und du sagst nur: „irgendwann“.
Weil es so schön bequem ist, die Verantwortung einfach abzugeben an das Schicksal, an den Zufall, an die Schwerkraft.
Und dann sitzen du wieder da und sagst: „„Gibt’s ja nicht, das ich nicht auch mal Glück habe.“

Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken.
Andere sammeln Kronkorken.
Die meisten jedoch sammeln „Irgendwanns“.

Wir kleben sie fein säuberlich in ein unsichtbares Album, jede Seite sorgfältig beschriftet:
„Irgendwann fang ich mit Sport an,“ „besuche ich meine Schulfreundin wieder.“
„Irgendwann fang ich an, richtig zu leben.“

Und wir blättern immer wieder durch dieses Album, bewundern die schönen Schriftzüge, streichen liebevoll über die Seiten und sagen:
„Das hier? Oh ja, das mach ich bald. Das bleibt auf jeden Fall drin.“

Was wir dabei vergessen: Das Album liegt nicht im klimatisierten Museum, sondern auf dem Nachttisch. Und während wir schlafen, zieht die Feuchtigkeit ein: die Seiten wellen sich, es muffelt nach Moder und diesem schimmeligen Selbstmitleid: „Ich hatte ja eh nie eine Chance.“
Ja, selbst das Warten bleibt nicht frisch.

Und eines Morgens schlagen wir das Album auf, voller Trauer ob der guten alten Zeiten, und stellen fest:
Die Einträge sind längst alle irgendwie grau.
Die Früchte, die mal golden schimmerten, sind längst verschrumpelt.
Und auf dem Platz, wo früher stand „irgendwann will ich sie endlich kennenlernen“, klebt jetzt nur noch ein gelber Fleck und ein winzig kleiner Schimmelpilz, der feixend ruft: „Zu spät, Freundchen!“

Und der Baum?
Der steht inzwischen nicht mehr da.
Denn während wir noch gejammert haben, haben die Großen die Früchte gepflückt, den Baum gefällt und an seiner Stelle ein Einkaufszentrum hin gebaut.
Mit einem Food Shop, in dem man für 8,50 einen lieblosen Fruchtsalat kaufen kann.
Ohne Kirschen – die hat sich ja der „Irgendwann“ geholt.

Da sitzen wir also mit dem Album der erloschenen Träume und sagen uns noch immer:
„Ach. Die nächsten Seiten, die heb ich mir auf. Für später. Ganz bestimmt. Vielleicht sogar morgen.“
Nur, dass wir da längst schon auf dem Totenbett sitzen.
Und während wir noch überlegen, welche Seite wir als Nächstes beschriften, hören wir gar nicht, wie jemand den Deckel des Sarges über uns schließt.

Vielleicht sollten wir aufhören, „Irgendwann“ für eine Einladung zu halten — und es endlich übersetzen, so wie es wirklich gemeint ist.
„Eigentlich nie, aber ich bin zu feige, es laut zu sagen.“
Oder: „Wahrscheinlich nie, aber danke für die schicke Ausrede.“
Klingt bitter, ich weiß. Aber wenigstens ehrlich.
Und das ist allemal besser, als mit leeren Händen unter dem Baum zu verhungern.
Und wer weiß — vielleicht wagen wir ja genau in dem Moment den ersten Schritt, in dem wir endlich aufhören, uns selbst zu belügen.

Denn die Wahrheit ist:
„Irgendwann“ ist immer jetzt.
Und später ist meistens zu spät.
Nur sagt einem das keiner.
Weil „irgendwann“ einfach viel freundlicher klingt, als „Selber schuld“.

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