WorkLife – Balance?

In der neuesten Episode von „Der Schalltrichter“ nimmt Thomas Speck die Illusion der Work-Life-Balance humorvoll auseinander. Er zerlegt genüsslich die absurde Vorstellung, dass „Arbeit“ und „Leben“ zwei schön säuberlich getrennte Bereiche sein könnten – als wäre unser Gehirn ein IKEA-Schrank.
Work-Life-Balance ist ein magisches Einhorn, das uns versprochen wird, aber sich leider nie blicken lässt. Schauen wir uns das doch mal genauer an, denn da steckt noch mehr absurder Kram drin als in einem deutschen Bürokratieformular.
Zunächst diese charmante Idee, dass „Arbeit“ und „Leben“ getrennte Dinge sind, die man fein säuberlich in zwei verschiedene Schubladen stecken kann, als wäre unser Gehirn ein IKEA-Schrank mit genug Fächern für alles. In Wahrheit überlappt das Ganze doch ständig. Jeder, der schon mal versucht hat, auf dem Klo im Büro ein bisschen Ruhe zu finden, nur um von Kollegen per Slack belästigt zu werden, weiß: Es gibt keinen klaren Trennstrich. Du kannst noch so sehr versuchen, im „Life“-Modus zu sein, aber der „Work“-Modus kriecht dir wie ein unerwünschter Gast ins Wohnzimmer.
Es gibt zuhauf diese hirnrissigen Artikel à la „10 Tipps für die perfekte Work-Life-Balance“, in denen dir geraten wird, ein Morgenritual zu entwickeln. Morgenritual? Bitte, meine Morgenroutine besteht aus: Wecker fünfmal auf Snooze stellen, panisch merken, dass ich zu spät dran bin, und hoffen, dass der Kaffee auf magische Weise stärker wird, nur weil ich ihn mit verzweifeltem Blick anstarre. Aber klar, ich soll eine Stunde vor der Arbeit meditieren, einen Smoothie schlürfen und dann den Tag mit positiver Energie starten. Genau, und nach Feierabend massiere ich mir die Füße mit Einhorntränken, während ich in einem Schaumbad aus purem Glück schwimme.
Wie sieht diese vielgepriesene „Life“-Seite eigentlich aus? Na, nach einem Arbeitstag, an dem man sich wie ein ausgewrungenes Handtuch fühlt, erwartet man natürlich, dass das „Leben“ direkt um die Ecke springt und einen mit offenen Armen empfängt. Doch stattdessen sitzt man da, starrt auf Netflix und scrollt durch Social Media, während man sich fragt, warum einem der perfekte „Life“-Part nicht so richtig gelingt. Vielleicht, weil „Leben“ nicht nur bedeutet, zwischen dem digitalen Müll unserer Zeit und unerfüllten Freizeitaktivitäten hin- und herzuzappen. Das Leben wird uns wie eine Werbeanzeige verkauft, in der wir immer noch mehr „Self-Care“, „Me-Time“ und „Personal Growth“ brauchen, als wären wir Projektmanager unseres eigenen Daseins.
Gut, dann nehmen wir uns doch mal den modernen Selbstoptimierungswahn zur Brust – diese absurde, allgegenwärtige Besessenheit, jede Sekunde des Tages in einen verfluchten TED-Talk zu verwandeln.
Selbstoptimierung, das heutige Lieblingshobby jener Menschen, die „Produktivität“ wie eine Religion behandeln und das Streben nach Unfehlbarkeit wie eine Droge konsumieren. Es beginnt, wie gesagt, morgens um fünf, weil ja bekanntlich alle „erfolgreichen Menschen“ in aller Herrgottsfrühe aufstehen, als ob der Erfolg an den Sonnenaufgang gekoppelt wäre. Man schleppt sich aus dem Bett – natürlich, weil eine App den perfekten Weckzeitpunkt errechnet hat – und stopft erst mal einen handgepressten Selleriesaft in sich hinein, denn in dieser wunderbaren Welt der Selbstoptimierung trinkt man nicht einfach Kaffee, man nimmt ein chlorophyllgetränktes Elixier zu sich, das angeblich die „Zellen revitalisiert.“
Halt die Zellen, nicht das Geschmackserlebnis, das wäre wohl zu viel verlangt.
Und dann ab ins Fitnessstudio, wo du dein tägliches Ritual vollziehst, um die altgriechischen Götter vor Neid erblassen zu lassen. Dabei zählst du natürlich nicht mehr in normalen Einheiten, nein, du misst deine Fortschritte in „Maximalkraftzuwächsen“ und „Zellulären Anpassungen.“ Jede noch so banale Bewegung wird akribisch dokumentiert, getrackt und analysiert, bis du zu einem menschlichen Datenblatt wirst. Ein hochoptimiertes Fleischpaket, das den modernen Sisyphos mimt und hofft, irgendwann den Gipfel des perfekten Selbst zu erreichen.
Aber damit hört der Wahnsinn ja nicht auf. Nach dem Workout gibt es das obligatorische Dankbarkeitsjournal, weil es ja nicht reicht, einfach dankbar zu sein. Man muss seine Gefühle in stilvollen Moleskine-Notizbüchern verewigen, denn nur so zählt Dankbarkeit wirklich. Drei Sätze über die Schönheit des Morgens, den Geschmack des Smoothies und natürlich, wie gesegnet man ist, so früh wach zu sein, während alle anderen Schlafenden als dekadente Masse verachtet werden.
Doch wer denkt, damit sei das volle Potenzial der Selbstfürsorge ausgeschöpft, hat die Rechnung ohne die Self-Care-Mafia gemacht. Die ruht nämlich nie – und hat noch ein paar exklusive Angebote auf Lager: Für nur 799 Euro kannst du in einem abgedunkelten Raum sitzen und atmen – geführt von einem zertifizierten Atem-Coach mit 20 Jahren Instagram-Erfahrung, während dir beigebracht wird, wie du Sauerstoff achtsam und finanziell verantwortungsbewusst konsumierst. Und falls dich dabei die innere Unruhe packt, weil du eigentlich Miete zahlen solltest – für nur 299 Euro extra gibt’s ein Achtsamkeits-Webinar, das dir beibringt, diesen Gedanken liebevoll loszulassen.
Aber genug der spirituellen Erleuchtung – schließlich warten noch wichtigere Dinge auf dich. Zum Beispiel deine Karriere. Und die beginnt heute nicht mehr mit harter Arbeit, sondern mit dem richtigen LinkedIn-Post, denn jeder muss plötzlich „Thought Leader“ sein, was nichts anderes bedeutet, als dass man belanglosen Bullshit in LinkedIn-Posts verwandelt, die dann von anderen Thought Leadern gefeiert werden, bis man sich gegenseitig so sehr in den Himmel lobt, dass man dabei glatt vergisst, dass man den ganzen Tag eigentlich nur heiße Luft produziert. Aber hey, Hauptsache, der Curriculum Vitae glänzt!
Und am Abend? Da gönnst du dir den sogenannten „Mindfulness-Moment“, eine meditative Atempause in deiner eigens dafür eingerichteten Zen-Ecke, komplett mit ätherischen Ölen, weil „abschalten“ ja auch nur funktioniert, wenn man sich vorher fast religiös darauf vorbereitet. Und wehe, du surfst dann einfach auf Netflix rum! Stattdessen liest du die „7 Wege zur ultimativen Selbstkontrolle“, während du ein Bad in Aktivkohle nimmst, weil auch dein Badezimmer plötzlich ein verdammtes Labor für Persönlichkeitsentwicklung sein muss.
Und während du dich in deiner Zen-Ecke von der Sinnlosigkeit des Tages erholen willst, machst du den großen Fehler, auf dein Handy zu schauen. Feierabend? Pustekuchen.
Feierabend. Ein Wort, das eigentlich bedeuten sollte, dass die Arbeit endet und das Leben beginnt. Aber was bedeutet es heute? Es heißt, mit dem Laptop auf der Couch zu sitzen, das Handy immer in Griffweite, bereit, auf die nächste „dringende“ Slack-Nachricht zu reagieren, die von einem Kollegen geschickt wird, der anscheinend vergessen hat, dass es eine Uhrzeit jenseits der Bürotüren gibt. Feierabend? Mehr so etwas wie eine verlängerte Kaffeepause zwischen den Arbeitsphasen.
Und falls man denkt, es reicht, nach acht Stunden Arbeit die Beine hochzulegen, dann sollte man sich die „Hustle-Culture“ genauer ansehen. Wer keinen Side-Hustle hat, wird schief angesehen. Warum nur eine Karriere, wenn man abends auch noch an seinem Start-up oder seiner Marke auf Instagram arbeiten kann? Schlaf ist für Schwächlinge, das echte Leben beginnt um 22 Uhr, wenn du dein Nebenprojekt hochziehst. Am Ende bist du nicht nur dein eigener Chef, sondern auch dein eigener Gefangener in einer Welt, die keine Pausen mehr kennt.
Früher hieß es, Freizeit ist Freizeit. Heute ist Freizeit eine Liste von To-Dos, die darauf warten, abgehakt zu werden. Wir optimieren unser Wochenende wie unsere Workflows: ein Museumsbesuch hier, ein Yoga-Kurs da, am besten noch ein Spaziergang, bei dem man einen Podcast über produktiveres Zeitmanagement hört. Einfach mal nichts tun? Das wäre ja pure Zeitverschwendung, schließlich könnte man in dieser Stunde ein Buch über Achtsamkeit lesen oder seinen Puls tracken, während man „entspannt“.
Die Ironie des 21. Jahrhunderts? Der „Digital Detox“, der uns mit stolz geschwellter Brust als das Heilmittel gegen den Alltagsstress verkauft wird. Kein Wunder, dass wir uns wie Zombies fühlen, wenn wir den ganzen Tag mit E-Mails und Benachrichtigungen bombardiert werden. Man sollte meinen, wir brauchen keinen speziellen Begriff dafür, um mal kurz das Handy wegzulegen. Aber anscheinend sind wir so sehr in den Strudel der Produktivität gezogen worden, dass wir Pausen jetzt mit einem eigenen Branding versehen müssen.
In dieser schönen neuen Welt der Work-Life-Balance werden Beziehungen zur Fußnote. Statt echter Gespräche über das Leben gibt es nur noch Meetings in der Mittagspause. Wir planen unsere Zeit für Familie und Freunde in Google-Kalender ein, als wären sie ein Meeting, das man möglichst effizient abhaken muss. Zeit für emotionale Bindung? Klar, nach dem dritten Kaffee und bevor der nächste Call beginnt. Es ist ein Wunder, dass wir uns nicht gegenseitig Feedback-Bögen nach dem Abendessen zuschicken, um die Beziehungsperformance zu bewerten.
Das Verrückte ist: Am Ende dieser gesamten Zirkusvorstellung bleibt eines glasklar – all diese „Selbstoptimierer“ laufen nur in einem Hamsterrad. Sie jagen der Illusion nach, dass es da draußen irgendwo eine Version von sich gibt, die perfekt, unangreifbar und unfehlbar ist. Und während sie schwitzen, schreiben, tracken und ihre Schlafzyklen optimieren, bleibt ihnen eins verborgen: das Leben selbst.
Denn während sie so damit beschäftigt sind, besser, schneller und produktiver zu werden, haben sie vergessen, dass es vielleicht auch mal okay ist, einfach nur zu sein.
Die sogenannte „Work-Life-Balance“ ist ein hohles Versprechen, das uns weismachen will, dass man irgendwie zwischen 60-Stunden-Woche und dem Versuch, ein menschliches Wesen zu bleiben, so etwas wie Glück jonglieren kann. Tatsächlich ist es nur ein weiteres Symptom einer Gesellschaft, die uns verkauft, dass unser Wert in Arbeitsstunden gemessen wird, während wir uns in den Pausen fragen, wo unser Leben eigentlich geblieben ist.
Am Ende bleibt von der Work-Life-Balance nur eins: Arbeit. Das Leben? Äh ja …, das war ja irgendwo dazwischen. Vielleicht habe ich es im Kalender übersehen.